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Kontrollverlust - Kontrollverlust

Kontrollverlust - Kontrollverlust

Titel: Kontrollverlust - Kontrollverlust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Gude
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du denn jetzt aufschreiben?«, fragte ihn seine Frau entgeistert, als würde er in einer Synagoge Schweineschnitzel feilbieten. Sie schien also doch Einzelheiten ihrer unmittelbaren Umgebung mitzubekommen.
    »Nichts«, antwortete er. »Nur ein paar Notizen über meine persönlichen Eindrücke hier. Kommt ja nicht jede Woche ins Rhein-Main-Gebiet, der geistige Führer des tibetischen Volkes.«

     

     

     

     

33

    Die Glasfront war auf dieser Höhe völlig verdreckt, sie erkannten das stählerne Ungetüm erst, nachdem sie den gröbsten Mist abgeschrubbt hatten. Ihre Augen waren knapp über der Fußbodenhöhe des Bürotraktes, in den sie starrten.
    »Heilige Scheiße, was ist das?«, fragte der Neue entgeistert. Er hatte seine Wischutensilien fallen gelassen und peilte durch die Glasfläche, die Hände neben die Augen gelegt, damit die Verspiegelung seine Sicht in den Raum nicht beeinträchtigte. Seine Höhenangst hatte er für einen Moment vergessen.
    »Weiß der Henker«, sagte Toni, der in der gleichen Position direkt neben ihm stand. »Vielleicht eine riesige Bohrmaschine?«
    »Eine Bohrmaschine? In der Größe? Die kannst du im Tunnelbau einsetzen.«
    »Frag doch den dicken Typ da hinten in der Ecke. Der scheint gerade aufzuwachen.«
    Sie beobachteten, wie der Dicke sich den Kopf kratzte, langsam aufstand, zwei oder drei Minuten seltsam untätig herumstand, dann durch ein Nivelliergerät über ihre Köpfe hinweg auf die andere Seite der Taunusanlagen peilte. Es war, als ob er die beiden Fensterputzer nicht bemerkte, er zog sein Handy aus der Tasche und erledigte einen Anruf. Plötzlich schien Leben in den Mann zu kommen, er bewegte sich schneller, legte einen Kippschalter an einer primitiven Schaltkonsole um, und das riesige Gerät rotierte langsam ein Stück weit um seine Vertikalachse. Dann bückte er sich zu einem Metallkasten hinunter, und mit einem Mal begann sich der seltsame Bohrer mit den sieben Stahlrohren auf dem Dreibein zu drehen, langsam anfangs, irgendwann immer schneller. Die Glaselemente der Fassade begannen zu vibrieren. Die Erschütterung lag anfangs im Infraschallbereich, unterhalb der Hörschwelle, die beiden Fensterputzer spürten es zuerst an ihren Händen, kurz darauf verwischte sogar das Spiegelbild des SkyRise-Turmes gegenüber. Der Neue trat kreidebleich von der Scheibe zurück, und auch Toni spürte, dass hier irgendetwas nicht in Ordnung war.

     

     

     

     

34

    Nirgendwo eine Etagenangabe. Also noch einmal zehn Stockwerke runter, bis er die Originalnummerierung wieder entdeckt hatte, dann wieder hoch. Und sauber mitzählen, Wedel hatte keine Lust mehr auf eine zusätzliche Trainingseinheit. Hier musste es sein, Achtunddreißigster. Raus auf den Gang, hatten die Jungs vom Sicherheitsdienst gesagt, rechts, links, rechts, und zuletzt die erste Tür links. Was waren das für seltsame Vibrationen? Er konnte die Quelle nicht lokalisieren, die Frequenz war viel zu tief. Er blieb stehen, horchte, legte die Rechte zuerst auf die Wand, kniete nieder wie ein Spuren lesender Indianer, legte zuerst die Finger der Linken und schließlich sein Ohr auf den nackten Betonboden. Das gesamte Gebäude schien zu vibrieren, aber es war immer noch unmöglich, die Quelle dieser Erschütterung auszumachen. Keine Klimaanlage, kein Haustechnik-Aggregat war in der Lage, solche Schwingungen zu erzeugen. Vielleicht ein Handwerker mit einem großen Schlagbohrer.
    An den Wänden links und rechts sah er Risse, Schleifspuren und Kratzer; jemand hatte schweres Gerät oder Mobiliar durch den Flur transportiert, offensichtlich ohne große Rücksicht auf Verluste. Wedel sprintete weiter und stand wenige Sekunden später vor der Bürotür. Kein Schild, kein Hinweiszettel. Die Vibrationen waren jetzt so stark, dass seine Fußsohlen kribbelten. Erst anklopfen? Sinnlos, niemand im Raum würde das hören. Also einfach rein. Verdammt, abgeschlossen.

35

    Rünz war mit seiner Frau im Taxi zum Messegelände gefahren, und hatte sie dort an der S-Bahn Richtung Darmstadt verabschiedet. ›Komme später nach, habe noch zwei Termine in der City‹, hatte er zu ihr gesagt. Wie insgeheim erhofft, hatte sie nachgehakt. ›Ach, nichts Besonderes. Treffe mich mit einem Literaturagenten auf der Buchmesse, danach habe ich noch ein Meeting mit einem Consultant.‹ In ihrem Blick hatte er Neugier, Unsicherheit, gleichzeitig eine Spur Respekt und Bewunderung registriert.
    Nun konnte er sich voll auf die Umsetzung seines ganz privaten

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