Kopernikus 1
Besucher die Vorzüge des neuen Systems aus. „Und der größte Vorteil dabei ist, daß es nicht mehr Platz einnimmt als ein Handfeuerlöscher. Sozusagen das Hundefleisch im Brotbeutel! Hahaha …“
Er lachte dröhnend.
Olaf lachte nicht mit. „Die laufenden Auswertungsd a ten hat mein Vater von seinem Arbeitsstudio aus direkt in Ihr Documentcenter eingespeichert. Falls ich diese Tes t reihe weiterführen soll …“
„… erhalten Sie vom Technischen Geheimdienst B e scheid, Doktor Nevart!“
Das ‚Herr’ sparte er sich. Plötzlich schien er es eilig zu haben. Noch im Aufstehen bellte er wichtigtuerisch: „Das Hundefleisch ist erst einmal sichergestellt. Alle weiteren Laboruntersuchungen von seiten Dritter sind damit streng untersagt. Sie haften mir dafür!“
Olaf Nevart nickte erleichtert. Diese Verfügung kam ihm äußerst gelegen. Trotzdem verlief die Verabschi e dung so frostig wie der Empfang.
Nach dem gemeinsamen Abendessen, das Gunda aus den üblichen Fertigspezialitäten bereitete – nur der gemischte Salat stammte aus Hümmlings biologisch-dynamischer Kleingartenanlage –, schalteten sie sich zum Echo der Stunde in den Regionalkanal ein. Das aktuelle Kurzinte r view lief bereits. Ein großer grauhaariger Mann, dessen zwingende Stimme sofort Interesse erweckte, stellte sich als Abt Ratgar vor; Klanführer und Oberhirte einer en t schlossenen Glaubensgemeinschaft, die sich Neo-Katharer nannte.
„Das ist doch dieselbe Stimme wie vom Anruf Spe i cher der Tele-Info“, rief Gunda spontan.
„Du hast recht! R.T.G. könnte eine Kurzform für Ra t gar sein“, meinte Ulf zustimmend.
„Nur wer es nicht kennt, kennt es …“, versuchte sich Olaf an den Wortlaut des Kryptogramms zu erinnern.
„Psst“, machte Gunda. „Hört doch zu!“
Gemeinsam konzentrierten sie sich auf den Intervie w text.
Frage der Moderatorin: „Bevor Sie uns die Ziele Ihrer Anhänger näher erläutern, würde ich gern erfahren, wie und weshalb Sie gerade jetzt nach Thyrsfeld gekommen sind? Hängt Ihr Besuch mit dem ominösen Verschwi n den der Moorleiche zusammen?“
Ratgars Antwort: „Ich bin hier, um den Heidentempel zu besuchen.“
Moderatorin: „Das ist die Kapelle im Moor, die i r gendein Graf um 1215 errichten ließ, bevor er zu einem Kreuzzug aufbrach.“
Ratgar: „So heißt es. Das war immerhin vor beinahe achthundert Jahren. Aber in jener Zeit waren alle Kirchen dieser Gegend Langhäuser. Die besagte Kapelle jedoch ist zwölfeckig.“
Moderatorin: „Auch fehlen in ihr alle christlichen Symbole!“
Ratgar: „Bis auf das Jahrhunderte alte, mächtige Holzkreuz.“
Moderatorin: „Ihm gegenüber soll im sechzehnten Jahrhundert noch ein Götzenbild gestanden haben, stimmt das?“
Ratgar: „Alte Dokumente erwähnen einen berühmten Runenstein. Den Namen Heidentempel aber bekam die Moorkapelle erst, als sie einst zur Zufluchtsstätte der K a tharer wurde, der sogenannten Ketzer. Dabei handelte es sich um eine mächtige Sekte, die im zwölften Jahrhu n dert entschlossen dem Papst die Stirn bot. Im Griech i schen bedeutet Katharer aber ‚die Reinen ’. Deshalb ne n nen wir uns Neo-Katharer. Im Osten droht das Christe n tum mit dem Zen-Buddhismus zum Christ-Zen-tum zu verschmelzen. Das ‚Donnernde Schweigen ’ des Vimal a kriti soll Gottes Wort übertönen. Das werden wir nicht dulden! Wenn in Vatikanstadt die ‚Bank des Heiligen Geistes ’ mit den Banken von Tokio, Shanghai und Bo m bay fusioniert, ist es zu spät für uns. Darum kämpfen wir für die reine Lehre. Morgen ist Sommersonnenwende, unser höchster Feiertag. Ich habe die Absicht, mich zur Meditation in den Heidentempel zurückzuziehen.“
Moderatorin: „Aber die Besitzverhältnisse besagter Moorkapelle sollen doch ziemlich unklar sein!“
Ratgar: „Der leider so plötzlich verstorbene Professor Bert Nevart stand unseren Ideen zuletzt sehr aufschlu ß reich gegenüber. Dafür kann ich Dokumente erbringen.“
Moderatorin: „Seinerzeit wurden die Katharer wütend verfolgt und zu Tausenden umgebracht. Befürchten Sie das auch für die Neo-Katharer- Bewegung?“
Ratgar: „ Wir werden uns zu wehren wissen – wel t weit!“
Die drei Geschwister konnten sich des Eindrucks nicht erwehren, als richte sich dieser letzte Satz des großen, grauhaarigen Mannes mit dem von Zukunftsvisionen g e zeichneten Gesicht an sie direkt. Ohne einen einzigen Lidschlag blickte Abt Ratgar unverhohlen in den Livi n groom … bis es Gunda zuviel
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