Kopernikus 1
Laufrost, über den sie tappten, bestand aus Hartplastik. Darunter lief eine Saugleitung. Belüftungsperiskope, deren Mündungen Gott weiß wie getarnt wurden, sorgten für ausreichende Luftzufuhr.
Sich über dieses Tunnelsystem inmitten des Moores groß zu wundern, blieb den Geschwistern keine Zeit. Alle drei fieberten dem Moment entgegen, der vielleicht des Rätsels Lösung brachte – des Rätsels vom Leben oder Sterben ihres Vaters. Noch gab es Hoffnung …
„Dieser Fluchtgang läßt sich mittels Schleusen jederzeit überfluten und verschlammen. Wir bewegen uns jetzt auf die Gesteinsbank mit den Resten der alten Nordmauer des Heidentempels zu“, erläuterte der Abt. Die Akustik klang topfig.
Der Mann an der Spitze wandte sich wenig später um. Die Hochdruck-Gasentladungslampe auf seinem Schutzhelm blendete Olaf und Gunda.
„Wir sind an der Einstiegsschleuse, Abt Ratgar.“
Sie drängten sich vor einer vorsintflutlich wirkenden Metalltüre, die mit ihrem Rahmen fest verschweißt schien.
Der Abt trat auf eine Kontaktschiene. Mit wechselnder Tonhöhe in der beschwörenden Stimme, rief er: „Othil … Ur … Rit … Bar!“
Während das massive Sicherheitsschott unverzüglich hochfuhr, fragte Gunda leise: „Waren das nicht Runennamen?“
„Ein Akustik-Code“, entgegnete ebenso leise Olaf.
„Bitte schweigen Sie“, forderte der Abt sie auf und folgte dem Mann mit dem Leuchthelm.
Nach etwa zwanzig Schritten gelangten sie zu einem Mauerdurchbruch, der geradewegs in den Hallenchor der Krypta führte.
Olaf machte eine impulsive Bewegung nach vorn, übersah die vier Steinstufen, stolperte hinunter und landete auf allen vieren vor einem roh gemeißelten Steinaltar aus dem Mittelalter. Doch keiner lachte über das Mißgeschick. Die Situation war zu makaber. Hinter der rechten Altarecke schimmerte etwas Rötliches: die rötliche Kante eines Bioblocks aus Hundefleisch.
Olaf stürmte an seinem Bruder vorbei …
Ratgars Vertrauter nahm seinen Leuchthelm vom Kopf, postierte ihn auf dem Altar und richtete die Lampe mit offener Blende auf die Szene. In dem voll intensivierten Lichtkegel schimmerte der Bioblock wie ein ungeschliffener Rubinklotz. In klassischer Hockergrabstellung, von der gelierten Masse völlig umschlossen, kauerte Professor Bert Nevart; schwarz wie eine Moorleiche.
Ein heiserer Schrei hallte durch die Krypta. „Wir müssen Vater sofort aus dem roten Block herausschneiden!“
„Zu spät, Gunda, zu spät …“, stammelte Olaf und wies auf den Griff des archaischen Bronzedolchs, der seinem Vater aus dem Rücken ragte. Jemand mußte ihm die Waffe durch das erstarrte Gel von hinten mitten ins Herz gestoßen haben.
„Aber das gibt es doch nicht … dann wurde Vater ja ermordet!“ Ulf schüttelte wiederholt den Kopf, als könne er damit seine Feststellung ungeschehen machen. Doch die Tatsachen hielten allen Zweifeln stand.
Abt Ratgar machte auf das kleine flache Kästchen aufmerksam, das auf der Altarplatte stand, aber bis jetzt von den Geschwistern übersehen worden war.
Olaf erkannte in ihm das elektronische Notizbuch seines Vaters. Es kostete ihn einige Überwindung, danach zu greifen und die Abspieltaste zu drücken.
Professor Nevarts Stimme klang so lebendig durch den Raum, daß Gunda einen Schreckenslaut ausstieß.
„Also habt ihr mich gefunden! Seid gesegnet, Olaf, Gunda, Ulf. Die alte Formel hat euch den neuen Weg gewiesen.“
„Vaters akustisches Testament“, flüsterte Ulf mit trockenem Mund.
„Visita Inferiora Terrae Rectificando Invenies Occultum Lapidem! V.I.T.R.I.O.L!“ erklärte die Stimmkonserve des Professors weiter. „Auch der Pflug sucht das Untere der Erde auf. Vervollkommne es mit neuen chemischen Cellvibrio-Stämmen und synthetischem Humusbildner, damit auch aus bisher trostlosen Einöden fruchtbare Gärten erblühen. Ich bin euch eine Erklärung schuldig. Diese Aufzeichnung versucht sie euch zu geben. Viel Zeit bleibt mir nicht. Oder doch?“ Eine kurze Hoffnungspause entstand, nach der die Stimme des Professors kühl und analytisch klang. „Infolge Materialfehlers kam es bei einem Endphasenexperiment zur Katastrophe. Ich hatte so etwas befürchtet und auf meine Art und Weise vorgesorgt. Die hochprozentige Säureverdampfung von Schnellverrottern und Humusextrakten führte zur Schwarzpigmentierung meines Gesichts sowie Lungenverätzungen. Nach Panikreaktion folgte genauer Analysierungsversuch auf Speicherband. Danach Intensivprogrammierung mit
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