Kopernikus 1
verraten, bis dieser es nicht einmal mehr wagte, unter seinem richtigen Namen aufzutreten. Eine Zeitlang nannte er sich einfach Wandernder Ju’ und bediente sich in der Folge noch vieler anderer Namen.
Er lebte mehr als tausend Jahre, wurde Prediger, Heiler und Tierfreund, wurde gejagt und beschuldigt, als die Kirche, die Peter gegründet hatte, anschwoll und korrupt wurde. Doch hatte er viel Zeit, und am Ende wurde er weise und fand seinen Frieden. Und schließlich kam Jesus an sein lange hinausgezögertes Sterbebett, und sie versöhnten sich, und wieder weinte Judas. Und bevor er starb, versprach der Herr ihm, daß einige sich mit seiner Einwilligung erinnern würden, wer und was Judas gewesen war, und daß sich die Kunde davon im Laufe der Jahrhunderte verbreiten würde, bis endlich Peters Lüge aufgehoben und vergessen sein würde.
Derart war das Leben des heiligen Judas Iskariot, wie es in Der Weg von Kreuz und Drachen berichtet wurde. Das Buch enthielt auch seine Lehren sowie die apokryphen Bücher, die er angeblich geschrieben hatte.
Als ich es durchgelesen hatte, lieh ich es Arla-k-Bau, dem Kapitän der Wahrheit Christi. Arla war eine hagere, pragmatische Frau ohne bestimmten Glauben, doch schätzte ich ihre Ansichten. Die anderen Besatzungsmitglieder, die guten Schwestern und Brüder vom Orden des heiligen Christopherus, hätten lediglich den religiösen Schrecken des Erzbischofs nachgeplappert.
„Interessant“, fand Arla, als sie mir das Buch zurückgab.
Ich mußte lachen. „Ist das alles?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Eine hübsche Geschichte. Leichter zu lesen als eure Bibel, Damien, außerdem auch dramatischer.“
„Stimmt“, gab ich zu. „Aber absurd. Ein unglaubliches Durcheinander von Doktrinen, Apokryphen, Mythologien und Aberglauben. Unterhaltsam, ja, sicher. Einfallsreich, sogar gewagt. Aber lächerlich, finden Sie nicht? Wie soll man an Drachen glauben? An einen Christus ohne Beine? An Peter, der wieder zusammengesetzt wird, nachdem ihn vier Monstren verspeist hatten.“
Arlas Lächeln war spöttisch. „Ist das etwa blödsinniger als Wasser, das sich in Wein verwandelt, als Christus, der auf den Wassern schreitet, oder als ein Mann, der im Bauch eines Fisches lebt?“ Arla-k-Bau machte es Spaß, mir Kontra zu geben. Es hatte einen Skandal gegeben, als ich eine Ungläubige zum Kapitän meines Raumschiffes erwählte, aber sie war in ihrem Beruf sehr tüchtig, und ich hatte sie gern um mich, weil ich meinen Verstand an ihr wetzen konnte. Sie war ein kluger Kopf, diese Arla, und das schätzte ich mehr als blinden Gehorsam. Vielleicht war das eine Sünde.
„Das ist etwas anderes“, erwiderte ich.
„Tatsächlich?“ schnappte sie zurück. Ihr Blick ging durch meine Masken hindurch. „Ach, Damien, geben Sie es doch zu. Das Buch hat Ihnen ganz gut gefallen.“
Ich räusperte mich. „Es hat mein Interesse geweckt“, erkannte ich an. Ich mußte mich rechtfertigen. „Sie kennen ja die Sachen, mit denen ich mich gewöhnlich abgeben muß. Trockene kleine Abweichungen von der Doktrin, obskure Haarspaltereien über theologische Fragen, die irgendwie alle aus der Proportion geraten sind, unverfrorene politische Schachzüge, die nur den einen Zweck haben, einen ehrgeizigen planetarischen Bischof als neuen Papst einzusetzen oder Neu-Rom oder Vess diese oder jene Konzession abzuringen. Der Krieg ist endlos, doch die Schlachten sind stumpfsinnig und schmutzig. Sie erschöpfen mich, geistig, emotional, physisch. Hinterher fühle ich mich ausgesogen und schuldig.“ Ich tippte auf den Ledereinband des Buches. „Dies hier ist anders. Die Häresie muß natürlich ausgemerzt werden, aber ich gebe zu, daß ich es kaum erwarten kann, diesen Lukyan Judasson kennenzulernen.“
„Die Aufmachung ist auch hübsch“, meinte Arla und blätterte in Der Weg von Kreuz und Drachen. Sie hielt inne, um sich einen besonders ins Auge fallenden Stich genauer anzusehen, Judas, wie er über seine Drachen weint, glaube ich. Ich mußte lächeln, weil sie davon genauso angetan war wie ich. Dann runzelte ich die Stirn.
Das war der erste Fingerzeig für die Schwierigkeiten, die vor mir lagen.
So geschah es, daß die Wahrheit Christi zu der Porzellanstadt Ammadon auf der Welt Arion gelangte, wo der Orden vom heiligen Judas Iskariot beheimatet war.
Arion war eine nette, freundliche Welt, die seit dreihundert Jahren bewohnt war. Die Bevölkerungszahl lag unter neun Millionen, von denen Ammadon, die einzige
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