Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopernikus 1

Kopernikus 1

Titel: Kopernikus 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brrazo
Vom Netzwerk:
einmal hat, reinigen können?“
    Jetzt wurde Lukyans Lächeln wirklich sehr breit.
    „Aber nicht doch“, sagte er. „Ich habe mir alles ausgedacht.“
    Das verschlug mir die Sprache. „Wie bitte?“
    „Ich habe mir alles ausgedacht“, wiederholte er. Voller Stolz wog er das Buch in der Hand. „Selbstverständlich habe ich dafür viele Quellen angezapft, besonders die Bibel, aber ich halte Kreuz und Drachen zum größten Teil für mein eigenes Werk. Es ist recht gut, finden Sie nicht auch? Natürlich konnte ich es – Stolz hin, Stolz her – nicht mit meinem Namen versehen, habe ihm aber mein Imprimatur gegeben.“
    Einen Moment lang war ich sprachlos. Dann verzog ich das Gesicht. „Ich hatte erwartet, einen phantasievollen Verrückten anzutreffen, einen armen, von sich selbst in die Irre geleiteten Dummkopf, der davon überzeugt ist, mit Gott geredet zu haben. Mit Fanatikern von der Sorte hatte ich es schon öfter zu tun. Statt dessen finde ich einen fröhlichen Zyniker vor, der sich zum eigenen Nutzen eine Religion ausgedacht hat. Ich glaube, der Fanatiker ist mir lieber. Sie kann man ja schon nicht einmal mehr verachten, Pater Lukyan. Sie werden für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren.“
    „Das bezweifle ich“, erwiderte er. „Außerdem sehen Sie mich falsch, Pater Damien. Ich bin weder ein Zyniker noch profitiere ich von meinem lieben heiligen Judas. Bestimmt nicht. Als Priester Ihrer Kirche habe ich ein bequemeres Leben geführt. Ich tue dies, weil es meine Berufung ist.“
    Ich mußte mich hinsetzen. „Sie verwirren mich“, sagte ich. „Erklären Sie mir das.“
    „Ich sage Ihnen jetzt die Wahrheit“, hob er an. Er sprach ganz eigenartig, beinahe winselnd. „Ich bin ein Lügner“, fuhr er fort.
    „Sie wollen mich bloß mit kindischen Paradoxa verwirren“, warf ich scharfein.
    „Nein, nein“, meinte er lächelnd. „Ein Lügner. Sozusagen großgeschrieben. Das ist eine Organisation, Pater Damien. Eine Religion, wenn Sie so wollen. Ein großer und mächtiger Glaube. Und ich bin der geringste Vertreter davon.“
    „Eine solche Kirche kenne ich nicht“, sagte ich.
    „Natürlich nicht, das glaube ich Ihnen gern. Sie ist geheim. Sie muß geheim sein. Das ist Ihnen unbegreiflich, nicht wahr? Die Leute mögen es nicht, wenn man sie belügt …“
    „Ich möchte auch nicht belogen werden“, unterbrach ich ihn.
    Lukyan zog ein beleidigtes Gesicht. „Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich die Wahrheit sagen würde, oder? Wenn ein Lügner das sagt, dann können Sie ihm glauben. Wie könnten wir einander sonst vertrauen?“
    „Es gibt viele wie Sie“, sagte ich. Ich begann zu glauben, daß Lukyan doch verrückt war, genauso fanatisch wie alle Häretiker, wenn auch auf kompliziertere Weise. Es handelte sich hier offenbar um eine Häresie innerhalb der Häresie, aber mir war klar, welches meine Pflicht war, nämlich die Wahrheit herauszufinden und die Dinge zurechtzurücken.
    „Wir sind viele“, sagte Lukyan lächelnd. „Es würde Sie überraschen, Pater Damien, wirklich, es würde Sie überraschen. Doch es gibt ein paar Dinge, die möchte ich Ihnen lieber nicht erzählen.“
    „Dann erzählen Sie mir das, was Sie erzählen können.“
    „Mit Vergnügen“, sagte Lukyan Judasson. „Für uns Lügner gibt es, wie für alle anderen Religionen, ein paar Wahrheiten, an die wir glauben. Glaube ist immer nötig. Es gibt Dinge, die man nicht beweisen kann. Wir glauben, daß das Leben wert ist, gelebt zu werden. Das ist ein Glaubenssatz. Der Sinn des Lebens besteht darin, zu leben, dem Tod zu widerstehen, vielleicht sogar der Entropie die Stirn zu bieten.“
    „Weiter“, sagte ich und wurde entgegen meiner Absicht immer interessierter.
    „Wir glauben weiter, daß Glück ein Gut ist, nach dem man streben sollte.“
    „Die Kirche hat nichts gegen das Glück“, warf ich trocken ein.
    „Da habe ich meine Zweifel“, meinte Lukyan. „Aber wir wollen uns nicht streiten. Welche Haltung die Kirche zum Glück auch haben mag, sie predigt den Glauben an ein Leben nach dem Tode, an ein höchstes Wesen und an einen komplizierten Moralkodex.“
    „Stimmt.“
    „Die Lügner glauben nicht an ein Leben nach dem Tode, und sie glauben an keinen Gott. Wir sehen das Universum, wie es wirklich ist, Pater Damien, und die nackte Wahrheit ist, es ist grausam. Wir, die wir an das Leben glauben und es hochschätzen, müssen sterben. Danach wird nichts sein außer ewiger Leere, Dunkelheit, Nicht-Existenz. Unser

Weitere Kostenlose Bücher