Kopernikus 1
ihn verbessert. Wir haben uns lange mit dieser Welt beschäftigt. Wir kennen ihr psychologisches Profil. Der heilige Judas wird hier Erfolg haben. Er bietet Dramatik und Farbe und viel Schönheit, die ästhetische Seite ist bewunderungswürdig. Seine Tragödie endet glücklich. Auf Arion schwärmt man für solche Geschichten. Die Drachen sind eine nette Beigabe. Ich finde, Ihre Kirche sollte einen Weg suchen, Drachen in ihre Lehre einzubauen. Es sind herrliche Geschöpfe.“
„Mythische“, sagte ich.
„Kaum“, erwiderte er. „Schauen Sie doch mal hin.“ Er grinste mich an. „Sehen Sie, es läuft wirklich alles auf den Glauben hinaus. Wissen Sie denn, was vor dreitausend Jahren tatsächlich geschah? Sie haben Ihren Judas, ich habe meinen. Beide haben wir Bücher. Ist Ihres richtig? Können Sie das wirklich glauben? Ich habe vorerst lediglich Zugang zum ersten Kreis des Ordens der Lügner. Daher kenne ich nicht alle Geheimnisse, doch ich weiß, daß unser Orden sehr alt ist. Es würde mich nicht überraschen, wenn die Evangelien von Männern geschrieben wurden, die mir sehr ähnlich waren. Vielleicht hat es nie einen Judas gegeben. Vielleicht auch nie einen Christus.“
„Ich glaube fest daran, daß es sie nie gegeben hat“, sagte ich.
„In diesem Gebäude gibt es hundert Leute, die tief und sehr real an den heiligen Judas und den Weg von Kreuz und Drachen glauben“, erwiderte Lukyan. „Der Glaube ist eine sehr gute Sache. Wußten Sie, daß die Selbstmordrate auf Arion um fast ein Drittel zurückgegangen ist, seit es den Orden des heiligen Judas gibt?“
Ich erinnere mich, wie ich langsam vom Stuhl aufstand. „Sie sind genauso fanatisch wie alle Häretiker, die ich kennengelernt habe, Lukyan Judasson“, sagte ich zu ihm. „Sie tun mir leid, weil Sie Ihren Glauben verloren haben.“
Lukyan erhob sich ebenfalls. „Bedauern Sie sich selbst, Damien Her Varis“, meinte er. „Ich habe einen neuen Glauben und einen neuen Lebenszweck gefunden und bin ein glücklicher Mensch. Sie, mein lieber Freund, quälen sich und fühlen sich elend.“
„Das ist eine Lüge!“ Ich fürchte, ich habe das laut herausgeschrien.
„Kommen Sie mit“, sagte Lukyan. Er berührte ein Brett an der Wand, und das große Gemälde von Judas, der über seine Drachen weint, glitt in die Höhe. Dahinter war eine abwärts führende Treppe.
Im Keller stand ein großer Glasbottich mit blaßgrüner Flüssigkeit, und darin schwamm ein Etwas – ein Etwas, das stark einem uralten Embryo glich, zugleich bejahrt und infantil, nackt, mit riesigem Kopf und winzigem verkümmertem Körper.
Schläuche verbanden seine Arme und Beine und Genitalien mit einer Maschinerie, die es offenbar am Leben erhielt.
Als Lukyan das Licht anknipste, öffnete es die Augen, große, dunkle Augen, die mir in die Seele schauten.
„Das ist mein Kollege“, erklärte Lukyan und tätschelte den Bottich. „Johannes Azure Kreuz, ein Lügner des vierten Kreises.“
„Und ein Telepath“, sagte ich mit tödlicher Sicherheit. Ich hatte Pogrome gegen Telepathen angeführt, Kinder zumeist, auf anderen Welten. Die Kirche lehrt, daß psionische Kräfte eine Falle des Teufels sind. In der Bibel ist von ihnen nicht die Rede. Ich hatte bei den Tötungen nie ein gutes Gewissen.
„In dem Moment, als Sie das Grundstück betraten, hat Johannes Sie durchschaut“, sagte Lukyan, „und mir seine Beobachtungen übermittelt. Nur wenige von uns wissen, daß er hier ist. Er hilft uns sehr erfolgreich beim Lügen. Er weiß genau, wann ein Glaube wahrhaftig und wann nur vorgetäuscht ist. Ich habe ein Implant in der Schädeldecke. Johannes kann jederzeit mit mir sprechen. Es war er, der mich seinerzeit für die Lügner gewonnen hat. Er wußte, daß mein Glaube hohl war. Er spürte die Tiefe meiner Verzweiflung.“
Dann sprach das Etwas im Bottich. Seine metallische Stimme kam aus einem Lautsprecher im Sockel der Maschine, die es ernährte. „Und ich spüre auch deine Verzweiflung, Damien Her Varis, hohler Priester. Du hast zu viele Fragen gestellt, Inquisitor, du bist krank am Herzen und müde und glaubst nicht. Komm zu uns, Damien. Seit langer, langer Zeit schon bist du ein Lügner.“
Einen Moment lang zögerte ich. Ich blickte tief in mich hinein und fragte mich, was es war, woran ich glaubte. Ich suchte nach meinem Glauben, nach dem Feuer, das mich einst in Schwung gehalten hatte, nach der Sicherheit in den Lehren der Kirche, nach der Gegenwart Christi in mir. Ich fand
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