Kopernikus 1
Sie hatte fast unbewußt ihren Tagesablauf verschoben, so daß sie zu den ungewöhnlichsten Zeiten aß und schlief, um ihm ja nur nicht zu begegnen.
„Ich warte auf dich.“
„Warum? Gibt es Probleme mit dem Schiff?“ Sie drehte sich halb um und sah zurück. Die kleine, undefinierbare Energiefluktuation kam ihr wieder zu Bewußtsein.
„Ja.“ Er straffte sich, hielt am Tisch die Balance und wartete auf eine Antwort. „Mit der Mannschaft, verdammt noch mal!“
„Was meinst du damit?“ Erneut wandte sie ihr Gesicht ab, um dem Ärger in seiner Stimme zu entgehen.
„ Wen meine ich damit. Ich meine uns, um Gottes willen. Oder siehst du noch jemand anderen an Bord?“ Er gestikulierte, wobei er fast das Gleichgewicht verlor. „Ich kann so nicht weiterarbeiten. Wir können nicht weiterhin so tun, als sei niemand sonst hier als man selbst. Ich zumindest kann es nicht. Wir sind Partner, ob dir das gefällt oder nicht, und wir müssen dem ins Auge sehen, oder wir gehen unter. Aber so geht es nicht weiter.“
„Ich weiß“, sagte sie, fast unhörbar. Der erhitzte Nahrungsbehälter sprang heraus, und sie schrak zurück.
„Willst du es zum Scheitern bringen? Ist es dir egal, ob wir es schaffen oder nicht?“
„Ich weiß es nicht.“
„Was?“ Fordernd, nicht fragend.
Sie biß auf ihre plötzlich zitternden Lippen und hielt Gesicht und Körper aufrecht gegen seinen Ansturm. „Nein, es ist mir nicht egal.“ Aber ein Teil von ihr schrie lautlos, das sei eine Lüge, Nein, o Gott, ich gebe keinen roten Heller darauf; es ist alles sinnlos … Ihre Hand zuckte empor in die Luft und griff ins Nichts.
„Mythili – ist alles in Ordnung mit dir?“ Sein Ärger verschwand so schnell, wie er gekommen war; seine Stimme wurde sanft, seine Betroffenheit wallte ihr entgegen und berührte ihre Fingerspitzen wie ein sanfter Hauch. „Kann ich dir helfen? Laß mich dir helfen, wenn ich dazu in der Lage bin …“
Sie zog ihre Hand fort und nahm sich und ihre Stimme zusammen. „Es ist nichts.“ Vergangenheit und Gegenwart schlossen sich zu einem unentrinnbaren Käfig glühenden Stahles zusammen.
Die Stille zwischen ihnen sagte mehr als tausend Worte. „Mir geht es nicht gut.“ Endlich, das Eingeständnis einer Schwäche, die sie niemals zugeben würde. „Es ist, als wäre ich allein auf diesem Schiff!“ Sie verstand die überragende Vehemenz dieser Worte nicht, wollte sie nicht verstehen. „Ich weiß, daß du mir ausgewichen bist. Aber verdammt, ich habe dir keinerlei Gründe dafür geliefert, oder doch?“
„Keine Gründe? Welchen Grund brauche ich schon außer deinem bloßen Anblick!“ Nun wandte sie sich doch ganz um, um ihn anzusehen, während sie durch ihr störrisches Haar fuhr.
„Was zum …? Was soll das bedeuten, um Gottes willen?“ Sein Gesicht wirkte angespannt.
„Es bedeutet, daß ich mich jedesmal, wenn ich dich sehe, daran erinnere, was auf Planet Zwei geschehen ist.“ Sie fühlte Siamangs grobe Hände, die an ihrer Kleidung zerrten, was er ihr antun wollte und fast angetan hätte, bevor man sie auf der leblosen Oberfläche im Stich ließ … „Es ist geschehen, weil du mir nicht geholfen hast, weil du nicht den Mut hattest, Siamang gegenüberzutreten. Du hast mich als ein Pfand benutzt, um dein eigenes Leben zu retten und jedesmal, wenn ich dich sehe, fällt mir das wieder ein.“
„Und was, zum Teufel, soll ich deiner Meinung nach deshalb tun?“ Er hielt die Hände empor, doch sie waren zu Fäusten geballt. „Soll ich mich selbst verstümmeln, damit du das nicht mehr sehen mußt?“ Eine Hand fuhr zu seinem Gesicht, als habe er tatsächlich vor, die Finger in das Fleisch zu bohren. „Möchtest du einen Prügel, um damit auf mich einschlagen zu können? Ist es das, was du von mir willst? Großer Gott, Mythili, glaubst du, es gibt auch nur eine Sache, die du mir sagen könntest, die du mir antun könntest, die du von mir denken könntest – und die ich nicht schon selbst getan habe?“ Seine Hände sanken herab. „Aber das ändert nichts … Was auf Planet Zwei geschah, ist geschehen. Ja, ich hatte Angst, ich wollte nicht sterben. Ich habe mein möglichstes getan – aber es genügte nicht. Ich würde alles tun, um es wiedergutzumachen, aber ich kann nichts tun! Ich wünsche bei Gott, du hättest gegen mich ausgesagt und es damit hinter uns gebracht.“
„Ich habe keine Ahnung, warum ich das nicht getan habe!“ Ihre Stimme brach unter der Last dieser Lüge, dem Wissen, warum sie
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