Kopernikus 2
auf den jungen Telepathen zu, der immer noch auf dem Tisch lag. „Der benötigt eine Behandlung, und wir benötigen immer noch Aufklärung. Warum sollen wir weiterhin mit dieser Angst und Ungewißheit herumlaufen, da wir dem doch unverzüglich eine Ende setzen können?“ Ihre Hand schob den Kopf des keinen Widerstand leistenden Telepathen zur Seite, fand die Arterie und setzte die Nadel der Spritze an.
„Halt!“ sagte die Stimme über den Lautsprecher in strengem Ton. „Halt! Ich befehle es Ihnen. Dies hier ist mein Schiff. Halt!“
Die Psi-Expertin drückte unbeeindruckt den Kolben herunter. Als sie die Nadel aus dem Nacken des jungen Mannes zog, war ein geröteter Fleck erkennbar, der sich um den Einstich bildete.
Der Telepath richtete sich halb auf und stützte sich auf seine Ellenbogen. Sie strich über sein Haar. „Und jetzt konzentriere dich mal auf Royd, mein Junge“, sagte sie in einem Ton, der ganz ihrer Arztrolle entsprach. „Du kannst es. Wir alle wissen, was du für ein fähiger Kopf bist. Wenn du noch einen kleinen Moment wartest, wird dir das Esperon helfen. Gleich muß die Wirkung einsetzen.“
„Ich bin nicht nahe genug an ihm dran“, murmelte er. Seine blauen Augen überzogen sich wie mit einem Schleier. „Gut, ja, ich bin gut, ich gehöre zur ersten Kategorie, aber … ich muß ganz nahe an ihn heran.“ Er fing an zu zittern.
Sie legte den Arm um ihn, streichelte ihn, versuchte ihm weiter zu schmeicheln. „Das Esperon verlängert deine Reichweite, Kleiner“, flüsterte sie. „Du mußt es fühlen, wie es dich aufbaut. Und du fühlst es auch. Alles um dich herum wird viel klarer, nicht wahr?“ Der Klang ihrer Stimme sollte ihn in Sicherheit wiegen. „Und jetzt versuch dich mal an die Gefahr zu erinnern, von der du gesprochen hast. Schau hinter die Wände. Erzähl uns, was du dort siehst, erzähl uns etwas über Royd. Hat er die Wahrheit gesagt? Erzähl es uns. Du bist unwahrscheinlich gut – wir alle wissen das, und daher wissen wir auch, daß du uns alles erzählen kannst.“ Sie sprach in einem ununterbrochenen Singsang.
Plötzlich schüttelte er sie abrupt ab und setzte sich steif auf. „Ich fühle es“, rief er. Seine Augen wurden plötzlich klarer. „Irgend etwas – au, was tut mein Kopf weh – ich habe Angst !“
„Das brauchst du nicht“, versuchte ihn die Psi-Expertin zu beruhigen. „Das Esperon bereitet deinem Kopf keine Schmerzen, im Gegenteil, es vertreibt sie. Es gibt nichts, vor dem du Angst zu haben brauchst.“ Ihre Hand fuhr über eine seiner Brauen. „Und nun sag uns, was du siehst.“
Der Telepath starrte auf Royds Projektion. Seine Augen glichen denen eines verängstigten kleinen Jungen. Seine Zunge fuhr blitzschnell über seine Unterlippe. „Er ist …“
Dann zerplatzte sein Schädel.
Drei Stunden später hatte sich der Rest der Passagiere wieder unter Kontrolle. Melantha Jhirl hatte, kaum daß das Unglück geschehen war, das Kommando an sich gerissen. Mittlerweile war die Verwirrung und Hysterie etwas abgeebbt. Melanthas Befehlen, die sie mit einer Selbstverständlichkeit erteilte, als habe sie niemals etwas anderes getan, ward von Anbeginn an unverzüglich Folge geleistet. Es schien, es seien alle froh über ihre Initiative gewesen.
Drei der Akademiemitglieder holten ein Tuch, um den Körper des jungen Telepathen einzuhüllen. Sie schoben das Bündel anschließend durch die Luftschleuse am Heckteil des Kommandoraumes. Zwei andere Passagiere holten auf Geheiß Melanthas einen Putzeimer und ein Aufwischtuch und wischten die Blutspritzer vom Boden, von den Möbeln und der Wand. Einer der beiden – es handelte sich um die Kybernetikerin – machte jedoch schon nach kurzer Zeit schlapp; Karoly d’Branin, der die ganze Zeit über, offenbar unter dem Einfluß eines Schocks, bewegungslos in einer Ecke gesessen hatte, sprang auf, nahm seiner Kollegin den blutdurchtränkten Aufwischlappen aus der Hand und geleitete sie in seine Kabine.
Melantha Jhirl kümmerte sich um die Psi-Expertin, die sich im Augenblick des Todes unmittelbar über den Telepathen gebeugt hatte. Ein Knochensplitter aus der Schädeldecke des jungen Mannes hatte ihre Wange direkt unterhalb des rechten Auges durchbohrt, sie war über und über mit Blut, Haut, Haaren und Hirnbrei bespritzt. Sie hatte einen schweren Schock erlitten. Melantha hatte schnell den Knochensplitter entfernt, sie nach unten geleitet und mit einer Injektion aus der Bordapotheke
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