Kopernikus 6
hätten durchaus auch andere Umstände sein können.
Allein das Prinzip ist von Bedeutung.
Ein-eindeutig, selbst bei allen Transformationen von Zeit und Raum, bleibt jener Reflex im Bruchteil einer Sekunde, der den Kreis schließt, ihn zu einer Fläche verspiegelt, in der die Betroffenen begreifen, daß sie einen gemeinsamen Moment haben.
Aus ihrer Zweisamkeit heraus finden sie sich vor als letztlich ein und derselbe.
Die Situation.
Unaufhaltsam kriecht eine zähflüssige Feuchtigkeit aus den dichten Graspolstern, sickert über die geschlossene Pflanzendecke, sucht vergeblich nach Spalten und Lücken, taumelt gegen abgeknickte Blattlappen, umschlingt seine schweren, schwarzen Stiefel und bindet ihn ein in die Natur, als wäre er ein fester Bestandteil dieser Welt.
Er ist allein.
Lautlos ziehen vereinzelte Wassertropfen ihre zärtlichen Bahnen; es ist das Kondensat einer schläfrigen Stille, es ist der Schweiß erschöpfter Träume, der aus den Falten der Nacht perlt und über die glatte Ebene des frühen Morgens rollt. Die hohen Lanzetthalme krümmen sich im leichten Wind. Mit ihren elastischen Bewegungen wecken sie die aufgehauchte Feuchtigkeit, entzaubern den glimmernden Pelz, wandeln ihn um in einen feinen Niederschlag, in einfache Feuchtigkeit, die sich über die tiefgrüne Länge der Halme verteilt.
Er hat Zeit.
Unter der Schwingung erwachen die klebrigen Tropfen, entfalten ihre eigenen Bewegungen, räkeln sich in den ersten auf treffenden Strahlenbündeln der Sonne und reflektieren das einfallende Licht auf der Krümmung ihrer Oberfläche. Im Bruchteil von Sekunden wird jeder Tropfen zur Supernova. Ein gleißendes Licht rast ihm entgegen. Automatisch zucken die Augenlider zusammen.
Sein Schatten schiebt sich dicht über den Boden, schmiegt sich eng an den Pflanzenteppich, verschwimmt in den Mulden, die den Morgennebel zu milchigen Pfützen sammeln, und verliert sich schließlich im Gewirr anderer Schatten.
Er wartet.
Er ist umgeben von einer schläfrig-schweigsamen Pflanzenwelt, die sich langsam von den Fingern der Sonne wachstreicheln läßt. Vor seinen Augen schwingen feingeschuppte Rispen, neigen sich zur Seite, biegen den Halm, spannen die Fasern, als wollten sie sich bis zum maximalen Punkt verbeugen; dann läßt der Luftzug nach, und das elastische Rohr schnellt zurück und wirft die Rispenkronen in die entgegengesetzte Richtung.
Aus der Bewegung der Halme fallen Samenplättchen in die Luft.
Die kaum sichtbaren Lebenskeime torkeln herab und suchen Schutz zwischen gerollten Blättern, betten sich auf weiche Moospolster, bleiben an den feuchten Köpfen giftgrüner Pilzkolonien kleben und fallen zwischen scharfkantige Steine.
Er versucht, die Bewegung der silbrig aufblitzenden Scheiben nachzuvollziehen; versucht, ihren Weg zu verfolgen, doch immer wieder entschaukeln sie seinem geschulten, wachsamen Blick. Schließlich reißt er sich gewaltsam los von der vergeblichen Bemühung und konzentriert sich wieder auf sein Ziel.
Er hat ein Ziel.
Die gebündelte Wärme der einfallenden Sonne schiebt den Tau von den Halmen, wischt die Feuchtigkeit von den Gräsern, leckt die Tropfen von den Zweigen und schlürft die Seen in den Blattschulpen leer.
Die weißen Inseln des Bodennebels werden zerrissen. Die Schwaden dünnen aus, schieben lautlos ihre Finger in die dichten Glasstengel gefiederter Halme und entfliehen dem wachsamen Blick des Eindringlings.
Die spitz zulaufenden Lanzetthalme sind endgültig trocken, und ein feiner Duft steigt aus den kugelförmigen Grasigeln, die ihn umgeben. Es ist eine Komposition aus zusammengeballter Hoffnung, Erwartung und Gewißheit, denn
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