Kopernikus 6
im Mund. Sie ist ungefähr fünf. Es sieht aus wie ein ganz normaler Schnappschuß von einem Familientreffen, der überall und zu jeder Zeit gemacht worden sein kann. Nur an der Kleidung erkennt man den Hinterwald der zwanziger Jahre.
Courtney bekommt etwas für sein Geld. Ich werde den Artikel schreiben, die Telephonate führen und die Talkshow-Tournee so planen, daß sie mit der Veröffentlichung zusammenfällt. Dann werde ich mich ein wenig erholen. Danach bin ich dann wieder ein normaler Mensch – ich mache das Examen und verbringe meine Zeit damit, durch den Dschungel hinter Tieren herzuwaten, die in zwanzig Jahren sowieso alle ausgestorben sein werden.
Wen kümmert’s? Die ganze Angelegenheit wird nichts weiter sein als ein neues Ereignis für die Medien, der Knüller dieses Jahres. Es wird schön sein, wieder normal zu werden. Ich kann Bücher lesen, ins Kino gehen, meine Sachen im Waschsalon waschen und mir Jonathan Richman mit der Stereoanlage anhören.
Ich kann ins Museum gehen und mir all die wunderbaren toten Dinge anschauen.
„ Das ist das Erinnerungsphoto“, sagte Alma. „Bei großen Ereignissen wie diesem hat man so eins immer gemacht, damals. Alle, die da waren, stellten sich in einer Reihe auf und posierten für die Kamera. Es paßten nur nicht alle darauf. Deshalb ließen wir zwei machen. Auf diesem hier sind wir.“
Das Haus sieht vor lauter Leuten ganz winzig aus. Alle Größen, Gestalten, Kleider und jedes Alter. Kinder und Hunde vorn, dann Frauen und hinten die Männer. Die einzige Ausnahme bilden die bärtigen Patriarchen, die vorne bei den Kindern sitzen – Männer, deren Augen zwar in die Kamera schauen, deren Köpfe aber noch immer mit etwas ringen, was Nathan Bedford Forrest einst auf raucherfülltem Felde zu ihnen gesagt hat. Dieses Photo ist aus einer anderen Zeit als alle anderen Photos zuvor. Man erkennt Daddy und Mrs. Gudger, wenn man schon andere Photos von ihnen gesehen hat. Alma zeigte mir, wo sie selber war.
Aber der Grund, weshalb ich dieses Photo mitgenommen habe, steht im Vordergrund. Aus Sägeböcken, auf die Türen und Bretter genagelt wurden, hat man Tische gebaut. Sie erstrecken sich über die ganze Breite des Photos. Sie sind beladen mit Speisen, mehr als Sie sich vorstellen können.
„Wir haben schon drei Tage vorher mit dem Kochen angefangen. Die Nachbarn ebenso. Jeder hat damals etwas mitgebracht“, sagte Alma.
Es sieht aus, als hätte man einen ganzen Landstrich gekocht und zum Kühlen hinausgestellt. Schinken, Rinderviertel, fässerweise Hühner, haufenweise Wachteln, Kaninchen, scheffelweise Butterbohnen, Yams, irische Kartoffeln, ein ganzes Maisfeld, Auberginen, Erbsen, Rübensprossen, Butter in Fünf-Pfund-Klumpen, Maisbrot und Kekse, Gallonenkannen mit Melasse und Kessel voll Roter Grütze.
Und fünf riesige Vögel – zweimal so groß wie Truthähne, an den Beinen Rosetten wie an Thanksgiving, mit Keulen wie Schwarzeneggers Bizeps; in einem Stück gebraten liegen sie auf dem Rücken, auf Tellern so groß wie Cocktailtische.
Die Leute in der Gruppe sehen sehr hungrig aus.
„Wir haben tagelang gegessen“, sagte Alma.
Den Titel für meinen Artikel im Scientific American habe ich auch schon. Er wird heißen: „Der Dodo ist noch immer tot“.
Michael Weisser ego alter ego
Am Morgen eines, irgendeines, nahen, fernen Tages, an einer, irgendeiner Stelle, nahe bei oder fern ab, festgehalten im Koordinatenkreuz, gefangen im Raumgitter zwischen horizontal und vertikal, hat er die feine Reflexion seines Spiegelbildes wahrgenommen.
Die Details stimmen, und doch sind die Details beliebig. Die Umstände sind definiert, aber es
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