Kopernikus 6
und hat lauter Zahnlücken. Sie sieht aus wie zehn oder elf. Ihre Augen sind halb verdeckt durch den Schatten der Krempe eines ausgefransten Strohhutes auf ihrem Kopf. Der Boden unter ihren bloßen Füßen ist frisch umgegraben. Hinter ihr sieht man eine Ecke des Hauses, und bei der Scheune im Hintergrund stehen die Heuluken offen. Unscharf sind Leute zu erkennen, die dort arbeiten.
Ein paar Fuß hinter ihr befindet sich ein großer männlicher Dodo, der etwas vom Boden aufpickt. Man sieht die vorderen zwei Drittel von ihm, bis zu den albernen Flügeln und den nach oben gebogenen Schwanzfedern. Ein Fuß ist auf dem Photo, er hat gerade in den frischgepflügten Schollen nach etwas gescharrt, vielleicht nach einem Regenwurm. Seiner dunklen Färbung nach zu urteilen handelt es sich um den grauen Mauritius-Dodo.
Das Photo ist nicht sehr gut; es ist mit einer Box aufgenommen, Format 9 x 12. Ich sehe es schon vor mir, auf einer Doppelseite im Scientific American abgebildet, mit einer Vergrößerung des Dodo. Alma erzählte mir, daß es zu jener Zeit bei ihnen nur noch sechs oder sieben der häßlichen Hühner gegeben habe, zwei weiße und der Rest graubraun.
Neben dem Photo sind zwei Zeitungsausschnitte in dem Paket, einer aus der Banner Times aus Bruce und einer aus der Oxforder Zeitung; beides sind Kolumnen von derselben Frau, überschrieben mit „Neues aus Water Valley“. Beide reden davon, daß die Familie Gudger aus der Gegend wegziehe, um ihr Glück in dem sumpfigen Staat im Westen zu machen, und wie man sie vermissen werde. Dann gibt es noch einen vergilbten Ausschnitt von der Titelseite der Zeitung von Oxford mit einem kleinen Artikel über die Abschiedsparty für die Familie Gudger in Water Valley am Sonntag zuvor. (Das Datum ist der 19. Oktober 1929.)
Ein Handzettel ist da, der die Gudger-Abschiedsparty ankündigt: am Sonntag, dem 15. Oktober 1929, und jedermann ist eingeladen. Die Leute in Louisiana, die die Spesen für Daddy Gudgers Umzug geschickt hatten, mußten die Kosten gewaltig überschätzt haben. Das sagte ich auch.
„Nein“, sagte Alma Molière. „Es war zwar viel, aber daran hätte es nicht gelegen. Daddy Gudger war wie Thomas Wolfe; er wußte, was eine goldene Gelegenheit war. Ob er gewinnen, verlieren oder unentschieden abschließen würde – dorthin würde er jedenfalls nicht zurückkehren. Er hätte in jedem Fall eine Art von Soiree gegeben, ob nun das Geld dafür da war oder nicht. Außerdem dürfen Sie nicht vergessen, daß die Leute damals viel geselliger waren, als die meisten Menschen es heute sind.“
Ich fragte sie, wie viele Leute dagewesen seien.
„Vier- oder fünfhundert“, sagte sie. „Hier müssen irgendwo ein paar Photos davon sein.“ Wir suchten eine Weile, und dann fanden wir sie.
Noch dreißig Minuten bis zum Abflug. Es macht mich nicht unruhig, hier zu sitzen. Ich bin der einzige Passagier, und der Pilot sitzt am Nebentisch und unterhält sich mit einem Mann von der Royal Air Force. Auf diesen Kolonialinseln geht es viel gemütlicher und netter zu. Das dürfen Sie nicht vergessen.
Ich sehe mir die beiden anderen Photos aus dem Packen an. Eines zeigt ein paar Männer, die Hufeisen- und Ringewerfen spielen; Kinder, Hunde und Frauen sehen ihnen zu. Es wurde offensichtlich vom Ostende des Hauses mit Blick nach Westen aufgenommen. Alle mußten die letzte Meile bis zur Gudger-Farm zu Fuß gegangen sein. Andere Leute stehen in Gruppen zusammen und unterhalten sich. Ein paar Männer in Hemd und Hosenträgern stehen mit zurückgeworfenen Köpfen da: Zweifellos wurde soeben eine ulkige Geschichte erzählt. Ein Mädchen schaut ganz vorn direkt in die Kamera, schüchtern und mit einem Finger
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