Kopernikus 6
Indizien, aber sie waren nicht haltlos.
Sie schloß Raumanzug und Helm und trat wieder vor die Blase hinaus, bloß um ein paar Minuten lang die Sterne sehen zu können. Der bleigraue Felsen unter ihren Füßen war vom äonenlangen Aufprall von Mikrometeoriten zerfurcht. Mehrere Kilometer lange Rillen zeugten vom schleifenden Aufprall anderer Asteroiden, von denen jeder auf der Erde eine Riesenkatastrophe ausgelöst hätte. Die Erde war schon früher getroffen worden, auch von Stücken, die so groß wie Psyche waren – zwar nicht sehr häufig, aber doch mehrere Male –, und hatte es überstanden. Die Erde würde auch den Aufprall Psyches überstehen, und es würde alles wieder von vorne anfangen. Die überlebenden Pflanzen und Tiere – sogar Menschen – würden sich schließlich wieder zum gegenwärtigen Niveau emporarbeiten, und vielleicht würde es eine bessere Welt sein, da sie von der Macht des einstigen Bösen mehr eingeschüchtert wäre. Sie mochte zu einer Kraft positiver Erneuerung werden.
Die Kuppelkette auf der Oberfläche von Psyche war im Sternenschein von kalter Schönheit. Die Lichtverhältnisse hellten sich langsam auf, als die Erde über dem Vlasseg-Pol aufging. Sie war bereits größer als der Mond. Es blieben ihr noch ein paar Stunden zur Anbringung der optimalen Korrektur. Gerade über der Erde befand sich ein winziger, beweglicher Lichtpunkt – Porter in seiner Raumfähre. Er wollte eine gerade Linie zum kleineren Bohrloch erreichen, um die notwendigen Signale zu senden.
Am liebsten hätte sie wieder geweint. Sie fühlte sich wie ein kleines Kind, voller Haß und Enttäuschung, aber jetzt in etwas so Ungeheuerliches und Unausweichliches verstrickt, daß daneben jede Leidenschaft verblaßte. Sie konnte nicht glauben, daß alles von ihr abhing, daß sie soviel Macht ausübte. Sicherlich stand etwas hinter ihr, eine unpersönliche, objektive Kraft. Allein war sie nichts, und ihr Verbrechen wäre unglaublich – genau wie es Porter behauptet hatte. Aber mittels einer kosmischen Rechtfertigung, dem zustimmenden Nicken eines riesigen, allwissenden Gottes wurde sie zu einem bloßen Werkzeug und war aller Verantwortung ledig.
Sie griff nach den Halteseilen, die zwischen den Blasen aufgespannt waren, und zog sich zur Luftschleuse zurück. Mit einer behandschuhten Hand drückte sie den Knopf nieder. Sie spürte, wie das Metall unter einer Handfläche eine Sekunde lang vibrierte, sich dann aber nicht mehr rührte. Die Luftschleuse war noch immer zu. Sie drückte neuerlich, und nichts geschah.
Porter horchte eine volle Minute lang genau hin und versuchte das schwache Signal zu empfangen. Vor ein paar Minuten war es plötzlich abgerissen, gerade als er die endgültige lineare Stellung zum Bohrloch am Vlasseg-Pol einnahm. Er rief seinen Direktor an und erkundigte sich, ob man von Turco Signale aufgefangen habe. Da er jetzt nicht mehr in Sichtlinie war, mußte der Mond als Relais fungieren.
„Nichts“, bemerkte die Mondleitstelle. „Seit einer Stunde schweigt sie.“
„Da stimmt etwas nicht. Wir haben nur noch eineinhalb Stunden. Man sollte erwarten, daß sie die Lage bis zum letzten ausnutzt. Hört zu, MLSt, vor ein paar Minuten empfing ich ein schwaches Signal. Es könnte sich um einen Irrläufer handeln, aber das glaube ich nicht. Ich kehre dorthin zurück, wo ich es aufgefangen habe.“
„Negativ, Porter. Sie werden die ganze Reaktionsmasse benötigen, wenn Plan A schiefgeht.“
„Ich habe genügend Reserven, MLSt. Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei. Etwas ist auf Psyche nicht in Ordnung.“ Beim Sprechen dämmerte es ihm. „Großer Gott, MLSt., das Signal muß von
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