Kopernikus 6
hochfährt, unter dem tosenden Gebrüll von zehn Millionen brennenden Kälbern: eine dampfende Klaue aus Fels und schwarzer Erde, die den Himmel aufreißt. Und jetzt, rasch, stellen Sie sich vor, wie das angrenzende Land in die Tiefe stürzt, hinabsinkt wie ein Stein in einem Teich, wie der Leib der Erde Hunderte von Metern weit außreißt und alles verschlingt und zu Staub zermahlt. Und dann, fast zu schnell für das Auge, stellen Sie sich vor, wie Berg und Krater sich umkehren, wie der Berg mit einemmal zusammenstürzt und den Fuß der alten Mönchsberge mit einer Flutwelle von Gestein umspült, um dann in einem tiefen Schlund zu versinken, und wie sich zur selben Zeit die niederbrechende Erde am Grunde des anderen Kraters umkehrt und eruptiv in die Höhe jagt, wie eine bebende Faust aus Geröll. Und es kehrt sich wieder um und immer wieder, als sähe man ständig denselben Filmstreifen, der ununterbrochen vor und zurück läuft. Und das multiplizieren Sie mit einer Million und breiten es aus, bis alles, was Sie sehen, von hier bis zum Horizont, zu einem Brei aus brodelndem Fels geworden ist. Sehen Sie’s vor sich? Nicht einmal ein Zehntel davon.
Feurige Derwische zogen durch das Chaos, verschmolzen wirbelnd miteinander. Hier und da brannte die Explosion einer taktischen Nuklearwaffe ein Loch in die Nacht, ein kurzes, intensives Aufflammen und gleich wieder verschluckt, wie ein finsterer Schneesturm eine Kerzenflamme verschlingt. Einmal traf eine solche Nuklearexplosion mitten in einen aufwärts rasenden Geröllberg, und es sah aus, als explodierte ein Feuerwerkskörper in einem schaukelnden Getreidesack.
Die Stadt selbst war verschwunden. Alles, was Menschen gemacht hatten, war spurlos untergegangen, und wir sahen nur noch den steinernen Mahlstrom. Auch der Fluß Delva war nicht mehr da; er war blitzartig verdampft. Eine Zeitlang sahen wir noch den trockenen Schlund des Flußbetts, das sich durch die Ebene wand, aber dann hob sich der Boden und löschte auch dies aus.
Es war unvorstellbar, daß dort unten noch etwas leben sollte. Es lebte auch nicht mehr viel. Nur die Überreste der schweren Waffenbatterien beider Seiten hatten überlebt, für uns unsichtbar in all dem Chaos. Immer noch geschützt hinter starken Phasenwänden und Streuschirmen schlugen sie blindlings aufeinander ein – das Kombinat mit taktischen Nuklearwaffen, auf die die Quästoren reagierten, indem sie den Diskontinuitäts-Projektor hochschalteten. Und die Quästorentechniker beteten, daß er von einem Zufallstreffer verschont bleiben möge – und es war ein Landformungsgerät und eigentlich überhaupt keine „Waffe“, aber das Kombinat war darauf nicht im geringsten vorbereitet gewesen und erlitt deshalb furchtbare Verluste.
Alles begann zu flackern, Flecken der Savanne leuchteten hier und dort auf und verschwammen, wurden auf eine zuckende, unregelmäßige Weise scharf und unscharf, als würde der Filmstreifen durch einen von Krämpfen gepeinigten Projektor laufen. Zunächst glaubten wir, es läge an den durch die Feuer hervorgerufenen Hitzestrudel, aber dann nahmen Frequenz und Tempo des Flackerns drastisch zu, es wurde immer schneller, bis es unmöglich war, irgend etwas länger als eine Sekunde im Auge zu behalten. Das weite Feld verwandelte sich in ein irrwitziges Kaleidoskop aus wogenden, wechselnden Formen und Farbmustern, die von einem Horizont zum andern reichten. Es war unmöglich, längere Zeit hinzuschauen. Unsere Augen schmerzten, und wir waren von einer öligen, unerklärlichen Panik erfüllt, die wir auch später niemals in Worte fassen konnten. Wir wandten den Blick ab und fühlten, wie eine unbestimmte Angst
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