Kopernikus 6
daran gedacht, der Gefahr aus dem Weg zu gehen. Wenn die Realität von innen nach außen gekrempelt wird wie eine schmutzige Socke, dann sehen Sie zu, oder Sie sind weniger als menschlich. Also schauten wir uns alles an, von Anfang bis Ende: zwei Stunden, die zu einer Sekunde wurden, Ewigkeiten lang. Wie ein Photo der Zeit, verdreht zu einem Schrei – und der Schrei hallte endlos weiter, und doch erlebte man ihn ohne jede Dauer.
Wir redeten nicht. Wir konnten nicht reden – die Moleküle der Luft kreischten zu laut, und das tiefe Brüllen der Explosionen war wie ein fortwährender Trommelwirbel – aber wir hätten auch dann nicht geredet, wenn es uns möglich gewesen wäre. In der Gegenwart eines wütenden Gottes redet man nicht. Manchmal sahen wir einander kurz an. Unsere Gesichter waren alle fast identisch: aschgrau, wächsern, mit glasigen Augen, ausdruckslos und verloren wie bleiches Treibholz, das die Flut auf den Strand gespült hat. Wir waren durch die Skala der Ausdrucksmöglichkeiten bis in die Extreme getrieben worden: rictus, die Gesichter so verzerrt und angespannt, daß sie schmerzten, und dann der quietus des Schockzustandes, die Muskeln so schlaff und kraftlos, daß sie nicht mehr reagierten. Wir sahen einander nur eine Sekunde lang an, faßten uns kaum wirklich ins Auge, beinahe ohne etwas wahrzunehmen, und gleich wurden unsere Blicke wieder wie durch einen Magneten auf das Feuer gezogen.
Zu Anfang hatten wir uns aneinandergeklammert, aber als die Schlacht ihren Fortgang nahm, rückten wir langsam auseinander und verkrochen uns in individuelle Pein. Das Ding war so groß, daß menschliche Wärme nichts bedeutete, es war so schrecklich, daß der Instinkt, der uns schutzsuchend zusammengetrieben hatte, sich ins Gegenteil verkehrte und daß die Gegenwart der anderen nur die Erkenntnis der eigenen, absoluten Nacktheit noch intensiver werden ließ. Vorher hatten wir einen Streuschirm aufgebaut, um den schlimmsten Teil der harten Strahlung auszufiltern – Gam mastrahlen und intensive Infrarot- und Ultraviolettstrahlung – und auf diese Weise Hitze, Erschütterung und Lärm wenigstens teilweise abzuwehren. Wir glaubten eine faire Chance zum Überleben zu haben, aber weglaufen konnten wir nicht. Wir waren wie gebannt durch die Schönheit des Grauens/das Grauen der Schönheit, als hätte man uns einen Pfahl durch das Rückgrat getrieben und uns am Felsboden festgenagelt .
Und jenseits des Vorgebirges tanzte Gott in seinem Zorn, und seine Füße zerstampften den Boden zu Asche.
Wie es war?
Auf Kos gibt es noch Ozeane und Stürme. Haben Sie schon einmal gesehen, wenn ein wütender Wind die See peitscht? Der Sturm läßt das Wasser zu Schaum aufbrodeln, er schlägt es, bis es weiß ist, bis es aussieht wie ein Meer von zerfetzter Spitze bis zum Horizont, wie wirbelnde Strudel von Milch, bis der letzte Rest von Blau vernichtet ist. So sah das Land aus, in D’kotta. Die Hügel bewegten sich. Die Quästoren hatten einen Diskontinuitäts-Projektor dort, und unter seinen Peitschenhieben rührte sich die Erde wie träger Teig unter dem Löffel des Bäckers; sie bewegte sich, erschauerte, stöhnte, riß auf und zerbrach. Felder hoben sich zu Bergen, und andere stürzten in tiefe Canons.
Stellen Sie sich einen Riesen vor, der knapp unter der Erdoberfläche schläft und Träume aus Fels und Kristall träumt. Stellen Sie sich vor, wie er sich unruhig bewegt, wie ein Alpdruck den trägen Rhythmus seiner Träume durchbricht, so daß er sich stöhnend hin und her wirft und das Unbehagen in vibrierenden Wellen über seinen meilenlangen Körper zieht. Stellen Sie sich vor, wie es ihn plötzlich in ein angsterfülltes Bewußtsein schleudert, wie er unvermittelt
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