Kopernikus 6
in dumpfen Wogen in uns aufwallte.
Damals wußten wir nicht, daß wir die erste praktische Anwendung eines Verfahrens beobachteten, das sowohl Kombinat als auch Commonwealth lange Zeit geheimgehalten hatten. Das Verfahren basierte auf dem Dimensions – „Antrieb“ für Raumschiffe (der genaugenommen überhaupt kein „Antrieb“ ist, aber diese Bezeichnung hat sich in der Presse allgemein verbreitet), und es befähigte einen Hochfrequenz-Diskontinuitäts-Projektor, innerhalb eines begrenzten Bereiches den Schwingungsverlauf der Zeit durcheinanderzubringen, so daß ein Punkt hier in der Kontinuitätssequenz ein paar Minuten vor oder hinter einem ein paar Zentimeter entfernten Punkt liegen würde. Ein Psychophysiker würde von dieser Erklärung Krämpfe bekommen, denn „Zeit“ ist eigentlich überhaupt nicht so, wie wir sie „erleben“, und deshalb tut das Verfahren „eigentlich“ auch nicht, was ich gerade gesagt habe – statt dessen tut es etwas wirklich Abstruses – aber es kommt dem, was es in der Praxis tut, doch nahe genug, denn selbst wenn die Zeitverzerrung ein „illusionärer Effekt“ ist – so wie die Sonne scheinbar auf- und untergeht –, haben sie das Ganze ja immerhin dazu benutzt, Leute damit umzubringen. Es warf also die Zeit aus ihrem Schwingungslauf, und zwar immer wieder, und verlagerte die Verschiebungen völlig willkürlich, so daß auf jedem beliebigen Quadratmeter Boden ohne weiteres vier oder fünf Diskrepanzen in der Zeitsequenz liegen konnten, die sich beständig verschoben. Zum Beispiel: Hier wäre vielleicht eine Minute „vor“ dem zugrunde liegenden „Jetzt“, und eine Sekunde später (bei diesem Zeug bricht die Sprache hilflos zusammen; man braucht Mathematik) wäre Hier zwei Minuten hinter dem Jetzt, dann fünf Minuten dahinter, dann drei Minuten davor und so weiter. Und alle angrenzenden Bereiche in diesem Quadratmeter durchlaufen den gleichen Wechselprozeß zur selben Zeit (diese gottverdammte Sprache!). Die Maschinen des Kombinats rissen sich selbst in Stücke. Die Menschen ebenfalls. Einige erstickten wegen einer Diskrepanz von fünf Minuten zwischen einem Atemzug und dem Moment, da der Sauerstoff die Lunge erreichte. Andere ertranken in ihrem eigenen Blut.
Es dauerte ungefähr zehn Minuten, zumindest soweit es uns als unbetroffene Beobachter betraf. Ein Psychophysiker hat mir einmal erklärt, daß „es“ für alle Zeit weiter „geschehen“ und zugleich niemals „geschehen“ war und daß keine der beiden Behauptungen die andere außer Kraft setzte, daß jede Behauptung auf dieselbe Situation konsekutiv „anwendbar“ und „nicht anwendbar“ sei – und ich habe es nicht begriffen. Es dauerte zehn Minuten.
Am Ende dieser zehn Minuten wurde es sehr still.
Wir sahen hoch. Das Land hatte aufgehört zu wallen. Ein winziger Stern erschien in mittlerer Entfernung in dem Geröll, so klein wie ein Stecknadelkopf, aber unglaublich hell und klar. Er schien die Nacht aufzusaugen wie ein Schlund, als hätte jemand mit einer Nadel durch den Weltstoff hindurch in eine intensivere Realität gestochen, als sammelte er seinen Atem für einen ungeheuren Schrei.
Instinktiv vergruben wir die Köpfe zwischen den Armen.
Ein überaus helles Licht leuchtete, ein Licht, das wir durch die Schädeldecke spüren konnten, ein Licht, das auch hinter geschlossenen und verhüllten Lidern blendende Reflexe hinterließ. Der Berg begann unter uns zu springen. Er schleuderte uns immer wieder in die Luft, bis wir fast bewußtlos waren. Das Tosen hörten wir nicht.
Nach einer Weile wurde es wieder ruhig, und nur ein fortgesetztes
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