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Kopernikus 6

Kopernikus 6

Titel: Kopernikus 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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ich durch ein Haus geschossen.
    Es stand höchstens zehn Meter von den Bäumen entfernt. Die Straße endete unter einem der Fenster. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie jemand winkte.
    Ich trat in die Bremsen.
    Eine ganze Familie war auf der Veranda; es sah aus wie ein Walker-Evans-Photo aus der Depression. Das Haus war alt. Die abblätternde Farbe hing in meterlangen Streifen herab und wehte gegen die Regenrohre.
    „Gut, daß Sie noch gebremst haben“, sagte eine Stimme. Ich sah hoch. Der größte Mann, den ich je in meinem Leben gesehen hatte, beugte sich zu meinem Seitenfenster herab.
    „Wenn wir Sie früher gehört hätten, hätte ich einen der Jungs zum Ende der Zufahrt geschickt, damit er Sie warnt“, sagte er.
    Zufahrt?
    Er hatte braune Flecken in den Mundwinkeln. Zuerst dachte ich, er kaute Tabak, aber dann sah ich den Schnupftabakspinsel aus der Bleistifttasche am Latz seines Overalls ragen. Er hatte Hände wie ein Catcher. Sie sahen aus, als ob sie niemals etwas Kleineres gehalten hätten als den Stiel einer Axt.
    „Wie geht’s?“ begrüßte er mich.
    „Ganz prima“, sagte ich und stieg aus. „Mein Name ist Lindberl.“ Ich streckte meine Hand aus. Er nahm sie. Einen Augenblick lang dachte ich an Bärenfallen, Haifischrachen, Aufzugtüren. Dann verschwand der Gedanke dahin, wo sie wohl alle verschwinden mögen.
    „Wohnen hier die Gudgers?“ fragte ich.
    Seine grauen Augen sahen mich ausdruckslos an. Er trug eine Truckermütze und unter seinem Overall ein kariertes Holzfällerhemd. Seine Gummistiefel waren so groß wie die von Karloff in Frankenstein.
    „Nee. Ich bin Jim Bob Krait. Das da ist meine Frau Jenny, und das sind Luke und Skeeno und Shirl.“ Er wies auf die Veranda.
    Die Leute auf der Veranda nickten.
    „Mal sehen. Gudger? Soviel ich weiß, gibt’s hier keine Gudgers. Ich bin aber noch ziemlich neu in der Gegend.“ Das sollte wahrscheinlich heißen, daß er noch nicht länger als zwanzig Jahre hier wohnte.
    „Jennifer!“ brüllte er. „Kennst du jemanden, der Gudger heißt?“ Zu mir sagte er: „Meine Frau hat ihr ganzes Leben in der Gegend gewohnt.“
    Seine Frau kam herunter und blieb auf der zweiten Stufe der Verandatreppe stehen. „Ich glaube, das waren die, die bei den Spradlins gewohnt haben, bevor die Spradlins da wohnten. Aber die Spradlins sind im Koreakrieg irgendwann hier weggezogen. Von den Gudgers habe ich keinen gekannt. Wir haben damals nach Water Valley raus gewohnt.“
    „Sind Sie von der Versicherung?“ fragte Mr. Krait.
    „Äh … nein“, sagte ich. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie die Leute auf der Veranda sich vorbeugten und die Ohren spitzten. „Ich bin … ich unterrichte am College.“
    „Oxford?“ fragte Krait.
    „Äh … nein. Universität von Texas.“
    „Na, das ist ja verdammt weit weg. Und Sie sagen, Sie suchen die Gudgers?“
    „Nur ihr Haus. Die Gegend. Wie Ihre Frau schon sagte, ich habe gehört, daß sie weggezogen sind. Ich glaube, während der Depression.“
    „Na, dann müssen sie aber Geld gehabt haben“, sagte der riesenhafte Mr. Krait. „Niemand hier war reich genug, um während der Depression wegzuziehen.“
    „Luke!“ brüllte er. Der älteste der Jungen auf der Veranda kam heruntergeschlendert. Er sah anämisch aus und trug ein Hemd, das zur Zeit des Twist in Mode gewesen sein mußte. Mit den Händen in den Taschen blieb er stehen.
    „Luke, zeig Mr. Lindbergh …“
    „Lindberl.“
    „… Lindberl den Weg zur alten Spradlin-Farm. Bring ihn bis zur alten Holzbrücke; vorher verläuft er sich vielleicht.“
    „Holzbrücke ist zusammengebrochen, Daddy.“
    „Wann?“
    „Oktober, Daddy.“
    „Verflucht, wieder was zu reparieren! Na, jedenfalls bis zum Bach dann.“
    Er wandte sich zu mir. „Wollen Sie, daß er mit Ihnen da raufgeht, damit Sie nicht von Schlangen gebissen werden?“
    „Nein, ich komme bestimmt zurecht.“
    „Darf ich Sie fragen, was Sie da oben wollen?“ fragte er. Er sah mich nicht an. Offensichtlich war es ihm unangenehm, daß er mich direkt hatte fragen müssen. Gewöhnlich kamen solche Sachen im Verlauf der Unterhaltung zur Sprache.
    „Ich bin … Vogelkundler. Ich studiere Vögel. Wir haben … ich meine, jemand hat uns erzählt, daß auf der alten Gudgerfarm … in der Gegend hier … ich suche einen seltenen Vogel. Es ist schwer zu erklären.“
    Ich merkte, daß ich schwitzte. Es war heiß.
    „Sie meinen so was wie einen Liebergott? So einen habe ich vor ungefähr fünfundzwanzig

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