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Kopernikus 6

Kopernikus 6

Titel: Kopernikus 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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lag der Null mit einer Kugel in der Brust auf dem Rücken. Sein erstarrtes Gesicht war aufwärts gerichtet, zu den grauen Wolken, die über den Himmel jagten. In seinen Augen spiegelte sich der Regen.
     
    So war das mit meinem Bein. Es war so viel Nervengewebe zerstört, daß sie mir kein neues wachsen lassen konnten, und ich mußte mich mit dieser steifen Prothese begnügen. Aber ich habe mich daran gewöhnt. Ich betrachtete es als Lehrgeld.
    Zwei Dinge habe ich gelernt: daß jedermann menschlich ist, und daß es dem Universum gleichgültig ist, so oder so. Nur den Menschen ist es nicht gleichgültig. Das Universum interessiert sich einen Dreck dafür. Ist das nicht wunderbar? Ist das nicht eine Erleichterung? Es hat es nicht auf dich abgesehen, und es wird dir auch nicht helfen. Du bist auf dich selbst gestellt. Das sind wir alle, und wir alle sind für uns selbst verantwortlich. Jeder macht sich seinen eigenen Himmel und seine eigene Hölle, und das können wir nicht von uns schieben. Wieviel leichter wäre es, wenn wir Gott für unsere Schuld und unseren Verdienst verantwortlich machen könnten.
    Oh, ich könnte eine übernatürliche Bedeutung aus alldem herauslesen – daß ich verschont wurde, weil ich den Null verschont hatte, daß irgendeine gütige Macht mich belohnte –, aber was ist dann mit Goth? Er wurde getötet, und hätte er keine Scherereien gemacht, wäre der Null gar nicht lange genug am Leben geblieben, um mich noch ins Spiel zu bringen. Und was ist mit den anderen von unserem Trupp? Alle tot – und war unter ihnen keiner, der so gut war wie ich und es ebenso verdiente, gerettet zu werden? Nein, es gibt einen viel direkteren Grund für mein Überleben. Getrieben von der Erkenntnis, daß er menschlich war, hatte ich ihn vor der Explosion geschützt. Noch drei andere überlebten die Explosion, aber sie starben, weil sie ungeschützt waren in den Stunden, bevor der Sanitätstrupp eintraf. Die Sonne röstete sie zu Tode. Ich starb nicht, weil der Null stundenlang über mir stand, während die Sonne aufstieg und auf die Felsen brannte, und sein Schalten schützte mich vor der Sonne. Ich behaupte nicht, daß er sich das ganz bewußt ausgedacht hat und mich absichtlich schützte (obwohl – wer weiß?), aber ich hatte ihm die einzige Wärme gegeben, die er während seines langen, schmerzvollen Alptraums gespürt hatte, und deshalb blieb er bei mir, als ihn nichts mehr daran hindern konnte fortzulaufen – und das Ergebnis war dasselbe. Man braucht keine Intelligenz, keine Worte, um auf Empathie zu reagieren. Sie läßt sich durch eine Berührung mit den Fingern mitteilen – Sie wissen das, wenn Sie je ein Tier besaßen oder wenn Sie schon einmal verliebt waren. Deswegen wurde ich verschont, Wärme für Wärme, derselbe Grund, aus dem alles Gute in diesem Leben geschieht. Als die Sanitäter kamen, schossen sie den Null nieder, weil sie glaubten, er wolle mir etwas antun. Soviel zum übernatürlichen Lohn des Gerechten.
    Empathie also ist es, was das Leben zusammenhält. Sie ist das Feuer, das wir gemeinsam haben, um uns vor der Angst zu schützen. Wärme ist die einzige Antwort auf die alten, kalten Fragen.
    So ging ich durch’s Leben, mein Junge. Ich habe Fehler gemacht und vieles getan, bin noch ganz schön herumgeschubst worden, habe ein wenig geliebt, und schließlich bin ich hier auf Kos gelandet, um auf den Abend zu warten.
    Aber Nacht ist etwas Relatives. Sie endet immer. Wirklich, denn selbst, wenn Sie nicht mehr da sind, um es zu sehen, geht die Sonne doch immer wieder auf, und jemand wird da sein, um es zu sehen.
    Es ist ein schöner, wunderbarer Morgen.
    Es ist immer ein wunderbarer Morgen, irgendwo, selbst an dem Tag, an dem Sie sterben.
    Sie sind noch jung – das tröstet sie noch nicht.
    Aber Sie werden es lernen.

 
Hans-Dieter Marx
Cola mit Schuß
     
    Es war ein seltsamer Zufall, der Frank Melrose die todsichere Chance zur Verwirklichung bürgerlich-moralisch höchst verwerflicher, seinem eigenen Wohlbefinden jedoch äußerst zuträglicher Pläne offenbarte. Wenn man zwölf Jahre seines Lebens im Knast verbracht hat, ergreift man die erstbeste Gelegenheit, um wenigstens noch etwas davon zu erhaschen, was einem das mißgünstige Schicksal so lange vorenthalten hat. Allerdings ist zu oft dann die erfaßte Gelegenheit so windig, daß man bald wieder dort sitzt, wo man hergekommen ist – hinter Schloß und Riegel.
    Für Frank Melrose jedoch schien sich eine Möglichkeit zu offenbaren,

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