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Kopernikus 6

Kopernikus 6

Titel: Kopernikus 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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Marias Schultern schlängelten sich Leitungen, die unter eigenen Zielen bebten. Ihre eigene Sprache sprachen. Gasmoleküle schwebten über winzigen grünen Stengeln. Vor einem Augenblick war es noch ein Atmen. Das Atmen eines Priesters, eines Mannes, einer Frau, eines Katholiken und Protestanten und Atheisten. Das Atmen von sechs Hunden und dreihundert weißen Ratten. Das letzte Atmen eines Menschenwesens. Eines Tages der erste Atemzug eines mondgeborenen Säuglings.
    Leben von Leben, Atem von Atem. Der Tod ist nur der Vermittler. Maria öffnet die Arme, um die winzigen grünen Felder darin einzuschließen, die unter vierzig künstlichen Sonnen auf chemischen Bädern gedeihen. Winzige grüne Schoten, die die verbrauchte Luft mit sonnenbeschienenem Brecheisen auseinandernahmen, ihren Atem zurückgaben, ihre Nahrung spendeten. Wieder gelangt die neue Luft in die Leitungen.
    Der Kreis bleibt ungebrochen.
    Wir sitzen alle im selben Boot.
    „Dies ist mein Leib …“
    Maria öffnet die Arme, um das Leben zu umarmen. Alles Leben. Grünes Leben, tierisches Leben, Leben, das auf zwei Beinen geht und auf einem Bein. Sie umarmt das falsche Leben, die summenden Schaltungen und emporjagenden Raketen.
    „Unser tägliches Brot gib uns heute …“
    Denn diese Dinge sind notwendig. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er braucht seine Ökosphäre.
    „Ziehet hin, die Messe ist beendet.“ Unsere Tage beginnen, beginnen erst.
    Danke, Mutter. Hilf mir, diese Dinge zu verstehen.
    Auf ihrem Haupt eine Krone aus zwölf Billionen Sternen.

 
George Guthridge
Das Stille
THE QUIET
     
    Kuara, mein Sohn, die Weißen haben den Mond gestohlen.
    Der Himmel vor dem Fenster ist schwarz. Zwischen den Sternen hängt eine blauweiße Scheibe. Das ist die Erde, sagt Doktor Stefanko. Ich klage und trommle mit den Fäusten. Ich bin mit Riemen an ein Bett gefesselt. Doktor Stefanko drückt mir die Schultern herunter und betupft meinen Arm. „Da du keine Ruhe halten willst, werde ich dir noch eine Spritze geben müssen“, sagt sie lächelnd. Ich liege still.
    Das ist nicht die Erde. Die Erde ist braun. Die Erde ist die Kalahari.
    „Du bist auf dem Mond“, sagt Doktor Stefanko. Das erzählt sie mir schon zum zweiten oder dritten Mal; ich habe geschlafen und gewacht, geschlafen und gewacht, bis ich nicht mehr wußte, welche Stimmen Träume waren und welche, wenn überhaupt, Wirklichkeit. Ich spüre einen Stich. „Ruh dich jetzt aus. Du hast einen langen Schlaf hinter dir.“
    Ich erinnere mich daran, wie ich zum ersten Mal aufgewacht bin. Das weiße Zimmer, weißes Zeug über mir. Draußen Schwärze und die blauweiße Scheibe.
    „Auf dem Mond“, sage ich. Meine Glieder fühlen sich schwer an. Mir ist schwindlig. Der Schlaf zerrt an meinem Fleisch. „Der Mond.“
    „Ist es nicht wunderbar?“
    „Und Tuka, mein Mann, sagen Sie – tot.“
    Sie preßt die Lippen zusammen und sieht mich ernst an. „Er hat den Schlaf nicht überstanden.“
    „Der Mond ist hohl“, erkläre ich ihr. „Das weiß doch jeder. Die Toten schlafen dort.“ Ich starre die Decke an. „Ich bin am Leben und auf dem Mond. Tuka ist tot, aber er ist nicht hier.“ Die Worte scheinen aus meinem Mund zu schweben. An der Decke sind kleine Flecken.
    „Schlaf jetzt, sei ein braves Mädchen. Später unterhalten wir uns weiter.“
    „Und Kuara. Mein Sohn. Er lebt.“ Die Flecken drehen sich. Ich schließe die Augen. Die Flecken drehen sich noch immer.
    „Ja, aber …“
    „Vor etwa hundert Jahren wurde ein Gesetz zum Schütze gefährdeter Arten erlassen – also von Tieren, die aussterben könnten, wenn der Mensch nicht sehr aufpaßte“, erzählt Doktor Stefanko. Ihr Gesicht ist nicht mehr verschwommen. Sie hat graues Haar und hagere Wangen. Irgendwo habe ich sie schon gesehen – lange bevor ich an diesen Ort gebracht wurde. Aber mir fällt nicht ein, wo das war. Die Erinnerung gleitet immer weiter weg.
    Gai steht grinsend am Fenster. Er trägt einen Lendenschurz. Das, was Doktor Stefanko die Erde nennt, umgibt als leuchtende Scheibe seinen Kopf. Durch die Lücke zwischen seinen Vorderzähnen schaut seine riesige, narbige Zunge hervor. Seine Schultern fallen ab wie die eines Hartebeest. Auf seiner lederigen, runzligen Brust wachsen ergrauende Haarbüschel. Nach seinem Verrat bin ich nicht erstaunt, ihn hier zu sehen. Er bringt das Num in meiner Magengrube zum Pulsieren. Ich schaue weg.
    „Dann wurde das Gesetz dahingehend erweitert, daß es gefährdete Völker einbezog.

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