Kopernikus 7
Kleingartenkolonie, deren Name „Krügers Ruh“ lautete, lag an dem Kanal, der sich im Norden an der Stadt vorbeizog, ein öliges und stumpfes Gewässer mit befestigten Ufern, auf dem lange Schleppzüge dahinglitten, tief in das Wasser eingetaucht, eingedrückt von den Kohlebergen, die oben aus den Laderäumen der Kähne herauslugten.
Das Haus der Eltern wurde von den Steuerbeamten als „Gartenlaube“ geführt und war eigentlich nicht als Wohnhaus vorgesehen. Aber die Behörden hatten nicht verhindern können, daß sich hier, in der Nähe der Industrieanlagen der Nordstadt, am Kanal, auf freistehenden Ruinengrundstücken Kleingartenkolonien ausbreiteten. Die Macht der Gewohnheit hatte Verhältnisse geschaffen, wo ganze Arbeiterfamilien sich in Gartenlauben zusammenpferchten, um hier auszuharren, bis das Geld reichte, um in eine enge Wohnung in ein mehrstöckiges Mietshaus zu ziehen. Die Pacht war billig in der Kolonie und wurde für das Jahr berechnet. Die Behörden übersahen die illegal wuchernden Wohnungen, die sich hier, als Gartenlauben getarnt, ausbreiteten.
Manchmal, wenn ein Beamter des Bauamtes angekündigt war, schienen die Häuser zusammenzuschrumpfen, ihr häßlichstes Äußeres anzulegen – nur um den Eindruck der Unbewohntheit hervorzurufen.
Seitdem es von der Stadt gestattet worden war, elektrisches Licht in einer Gartenlaube zu installieren, hatten die Fernseher und Medientürme mit ihrer Berieselung die Gartenkolonie „Krügers Ruh“ an das Informationssystem und Mediennetz der Stadt angeschlossen. Man fühlte sich als Bürger. Man war nicht länger außen vor.
Doch der Junge hatte es schwer, sich in das Sozialgefüge der Stadt einzuleben.
Der Vater war dem Suff ergeben, hatte schon lange aufgegeben, dagegen anzukämpfen. Die Mutter war verschlampt. Die beiden lagen in ständigem Streit miteinander.
Er war jedesmal aufs neue froh, den muffigen Wohnraum, in dem sie zusammen leben mußten, zu verlassen. Die Küche war ein an den einzigen Raum des Hauses angebauter Vorbau. Das Wasser mußten sie sich an der im Garten stehenden Pumpe mit dem Eimer holen.
Das Klo lag draußen im Garten und bestand aus einem wackligen Bretterverschlag über einem Sitzbrett (dem Donnerbalken), unter dem ein Kübel, von der Sorte, in dem auf dem Bau der Verputz angerührt wird, im Dunkel stand. Er hatte eines Tages, durch das Loch in den Kübel hinunterschauend, und ihm war dabei fast schlecht geworden vor Ekel, Unmengen kleiner weißer Würmer sich durcheinanderwinden gesehen.
Er nahm sein altes Fahrrad aus dem Schuppen. Das Rad war für ihn zu groß, es hatte einen 28er-Rahmen. Der Sattel war ganz auf den Rahmen runtergeschraubt. Wenn er fuhr, mußte er „eiern“. Außerdem hatte das Rad noch keine Gangschaltung, statt dessen einen Rücktritt.
Er rollerte bis zur Gartenpforte, die nur angelehnt war, stieß sie auf und war froh, aus dem Gartenweg raus, aus der Kleingartenkolonie raus, am Kanal entlang, in eine Gegend zu gelangen, wo vierstöckige, einförmige, hellgrüngestrichene Mietskasernen standen. Er fuhr am Obdachlosenasyl vorbei, vor dem zerlumpte Männer mit braunen Bierflaschen in den Händen auf der kleinen Mauer vor dem Kiosk saßen. Einer der Penner grölte etwas hinter ihm her.
Er war froh, auf die Hauptstraße zu kommen, auf der Straßenbahnen, Busse und Autos in die Stadt hineindrängten. Der Verkehrslärm betäubte ihn. Die schlechte, von Autoabgasen verseuchte LUFT fraß sich in seine Lungen. Er radelte so schnell er konnte auf dem schmalen Radweg dahin, umkurvte halsbrecherisch Fußgänger, wobei er laut klingelte.
Eine alte
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