Kopernikus 8
durch die Fahrradwege und die lose kooperative Anarchie, mit der sie Gemeinschaftsangelegenheiten regelten. Noti war eine der ersten Geisterstädte gewesen, die mit dem Verschwinden der Städte während der techno-kulturellen Revolution neu besiedelt worden waren, und obwohl von Zeit zu Zeit einzelne Individuen unfähig gewesen waren, die Revolution in ihrem eigenen Leben zu manifestieren, funktionierte die Gemeinschaft doch schon seit nahezu einem Jahrzehnt erfolgreich.
Jeder Haushalt war autark, was das Lebensnotwendigste anbelangte – Nahrung, Kleidung, ein Dach über dem Kopf und Gesundheit –, aber große Menschengruppen können eben mitunter Dinge vollbringen, die kleineren unmöglich sind oder ihnen zumindest schwerfallen. Die Nachbarn in Noti kamen zusammen zum Kuppelbau, Ernten, Pflastern von Wegen und Ausheben von Brunnen, zum kollektiven Weiterverkauf von Rohstoffen, zum Singen und Theaterspielen. Während die Mehrheit sich ihren Lebensunterhalt durch Haushaltsarbeit und den Verkauf überschüssiger Güter an andere Dörfer verdienten, gab es auch einige wenige, so wie Spinne, die außerhalb arbeiteten.
Spinne war Programmiererin beim Globalen Hilfswerk, einem internationalen Regierungskonsortium, das Nahrungsverteilungssysteme und landwirtschaftliche Wiedernutzbarmachung für jene Gegenden plante, die von den Dürreperioden um die Jahrhundertwende besonders stark betroffen worden waren. Spinne arbeitete zur Zeit am ‚Mittelwestamerikanischen Projekt zur Urbarmachung von Wüstengebieten’. Sie hatte eine Fernkonsole zu Hause, mit der sie den Großteil der anfallenden Arbeit erledigte. Die einzige physische Manifestation des Konsortiums war die jährliche Konferenz.
Während Spinne mit dem Fahrrad immer weiterfuhr, ließ sie den Wald schließlich hinter sich und radelte durch Getreidefelder, die Wanderers Heimat umgaben. Sie passierte einige alte Fachwerkhäuser, Relikte aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert, die nun unbewohnbar waren und langsam verfielen. Sie wich einer Fußgängergruppe aus, winkte ihnen zu und bremste schließlich vor dem Hauptgebäude der Farm, einem großen, viereckigen Bauwerk, das aus grobbearbeitetem Zedernholz erbaut war. Sie stellte das Fahrrad neben den anderen ab und nahm Häschen auf die Arme, um mit ihr unter dem rebenumrankten Portal hindurch in die Küche zu gehen. Einige Menschen saßen um den Tisch und unterhielten sich. Ein paar sahen auf und winkten.
„Hallo“, sagte Spinne und setzte Häschen auf den Boden, wo das Mädchen rasch zu den anderen Kindern krabbelte. „Hallo, Wanderer.“ Sie umarmte ihre Freundin. Wanderers Bauch war groß und warm zwischen ihnen.
„Hallo, Liebes, ich bin froh, daß du es geschafft hast.“ Wanderer strich mit den Fingern über Spinnes Augen, ihre Wangen, über die breiten, flachen Nasenflügel und über ihren Mund. Sie küßten sich, Zunge liebkoste Zunge, und trennten sich wieder voneinander. „Bevor ich das Schiff heute morgen kommen hörte, hatte ich mich schon fast damit abgefunden, noch einen Tag länger zu warten.“
Spinne lachte. „Dummerchen, ich sagte doch, ich würde rechtzeitig zurück sein. Dein Herz hängt doch schon lange am Halbmond.“ Spinne stand auf. „Komm, ich will allein mit dir sein.“
Wanderer lächelte. „Nimm mich am Arm“, sagte sie. Sie erhob sich auf die Füße, strich ihr kurzes Haar zurück und ergriff Spinnes Hand. „Bin bald wieder zurück“, rief sie, während sie zur Tür hinausgingen.
Sie überquerten den Rasen und ließen sich im Schatten eines blühenden Kirschbaums
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