Kopernikus 8
gewann, weil Sie bereits eine andere ihrer Art hervorgebracht hatte, ein klugscheißerisches Kind mit einer Frage, die bislang noch keiner zu beantworten wußte. Und vielleicht läßt sie sich auch gar nicht beantworten.“
„Du redest immer so komisch“, sagt Chib. „Aber das gefällt mir so.“
Er grinst Großpapa an und hat ihn gern.
„Du kommst schließlich jeden Tag hierher, nicht so sehr wegen meiner Liebe, sondern um Wissen und Einsicht zu gewinnen. Ich habe alles gesehen, alles gehört und viel nachgedacht. Ich bin viel gereist, ehe ich vor einem Viertel Jahrhundert in diesem Räume Zuflucht suchte. Doch die Einzelhaft hier war die größte Odyssee von allen.
DER ALTE MARINATOR
So nenne ich mich selbst. Eine Marinade der Weisheit, eingelegt in die Lake eines versalzenen Zynismus und eines zu langen Lebens.“
„Du lächelst so. Du scheinst gerade eine Frau gehabt zu haben“, sagte Chib.
„Nein, mein Junge, die Spannungen in meinem Rammbock habe ich schon vor dreißig Jahren verloren. Und ich danke Gott dafür, denn es entbindet mich dem Zwang, zum Fickomat zu gehen, ganz zu schweigen von der Masturbation. Ich habe allerdings noch andere verbleibende Energien und Möglichkeiten zur Sünde, und die sind ernst genug.
Aber abgesehen von der Sünde der sexuellen Vereinnahmung, die paradoxerweise eine sexuelle Verausgabung erfordert, hatte ich auch noch andere Gründe, den Alten Schwarzen Magier Wissenschaft nicht um Schüsse zu bitten, die mich wieder aufrappeln. Ich war zu alt für junge Mädchen, die nur noch an mein Geld wollten. Und ich war zu sehr Poet und Liebhaber der Schönheit, als daß ich mit den runzligen Schrullen meiner Generation vorliebgenommen hätte.
Du siehst also, mein Sohn, mein Klöppel schwingt schlaff in der Glocke meines Geschlechts. Ding, dong, ding, dong. Viel Dong, aber nicht viel Ding.“
Großpapa lacht tief, ein Löwenbrüllen mit der zierlichen Sanftheit eines Schwans.
„Jedoch bin ich das Sprachrohr der Altvorderen, ein Winkeladvokat, der lange toten Klienten nachjammert. Gekommen, nicht zu begraben, sondern zu beten, und von meinem Gerechtigkeitssinn gezwungen, auch die Fehler der Vergangenheit einzugestehen. Ich bin ein verschrobener und wunderlicher alter Kauz, gleich Merlin in seinem Baumstumpf. Samolxis, der thrakische Bärengott, der in seiner Höhle überwintert. Der letzte der Sieben Schläfer.“
Großpapa geht zu der schlanken Plastikröhre, die von der Decke herabragt, und blickt ins Okular.
„Accipiter lungert vor unserem Haus herum. Er riecht was Verrottetes in Beverly Hills, Ebene 14. Könnte es sein, daß Win-again Winnegan gar nicht tot ist? Onkel Sam ist wie ein Diplodokus, dem man in den Arsch getreten hat. Es dauert fünfundzwanzig Jahre, bis die Botschaft sein Gehirn erreicht.“
Chib treten Tränen in die Augen. Er sagt: „O Gott, Großpapa, ich möchte nicht, daß dir etwas zustößt.“
„Was kann einem hundertzwanzig Jahre alten Mann schon passieren, abgesehen vom Versagen der Hirn- oder Nierenfunktion?“
„Mit allem gebührlichen Respekt, Großpapa“, sagt Chib, „aber du schleppst dich ganz munter voran.“
„Nenne mich Mühle des Ich“, sagt Großpapa. „Das Mehl, das sie mahlt, wird im seltsamen Ofen meines Ego gebacken – oder halb gebacken, wenn dir das lieber ist.“
Chib grinst durch seine Tränen und sagt: „Man hat mir in der Schule beigebracht, daß Wortspiele billig und vulgär sind.“
„Was für Homer, Aristophanes, Rabelais und Shakespeare gut genug war, das ist auch gut genug für mich. Und da wir gerade von billig und vulgär sprechen – letzte Nacht, bevor die Pokerpartie begann, habe ich deine Mutter im Flur getroffen. Ich hatte die
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