Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
Vom Netzwerk:
einem mächtigen, rauhen Wutschrei wurde, so daß Tommy sich schreckerfüllt in seinem Stuhl zusammenkauerte. Und dann brach Kruger unvermittelt ab und sagte: „Verstehst du?“, mit geduldiger, sachlicher Stimme, väterlich und voll milder Betrübtheit, als wäre Tommy sehr schwierig und eigensinnig, aber er wolle es dennoch großherzig hinnehmen und versuchen, zu ihm durchzudringen. Und dann bestätigte Tommy murmelnd, daß er verstanden hatte, und er fühlte sich bösartig, störrisch, unvernünftig und undankbar, sehr klein und sehr schmutzig.
    Nach seinem Vortrag bestand Kruger darauf, daß Tommy sich auszog, damit er feststellen konnte, ob der Junge harte Drogen nahm. Außerdem nahm er eine Speichelprobe, um sie auf andere Drogen zu untersuchen. Dies waren die gleichen Untersuchungen wie die, denen sich die ganze Klasse zweimal im Jahr unterziehen mußte – im vergangenen Jahr waren mehrere Schüler einer höheren Klasse von der Schule verwiesen und der Polizei übergeben worden, weil sie Drogen nahmen oder süchtig waren, obgleich Steve behauptete, daß die älteren Schüler alle genau wüßten, wie man die Tests unterlaufen konnte oder wo man Stoff herbekam, der in diesen Tests nicht auffiel. Dies war eines der vielen Themen – wie seit neuestem auch „Sex“ –, die bei Tommy Unbehagen und ein vages Angstgefühl hervorriefen. Dr. Kruger schien enttäuscht darüber zu sein, daß die Testergebnisse nicht erwiesen, daß Tommy Drogen nahm. Kopfschüttelnd murmelte er etwas Unverständliches in die Falte zwischen zweien seiner Kinne. Das Gefühl von Krugers fetten Händen und seinen harten Stummelfingern, die über seinen Körper krochen, erfüllte Tommy mit intensivem Widerwillen, und als der Psychiater ihn mit einer Handbewegung entließ, zog er sich dankbar wieder an.
    Oben angekommen, stellte Tommy fest, daß die erste Stunde vorüber war und die Kinder jetzt mit den Unterrichtsapparaten arbeiteten. Auch in dieser Stunde leitete Miß Fredricks den Unterricht. Sie sagte kein Wort, als er hereinkam, aber er spürte den lidlosen Blick ihrer Schlangenaugen, während er den Raum durchquerte. Er fand ein freies Gerät und stülpte sich hastig die steife Plastikhaube über den Kopf; er war froh, sich so dem Blick von Miß Fredricks furchtbaren Augen entziehen zu können. Er fühlte den trockenen, gedämpften Kuß der Elektroden, als sie seinen Schädelknochen berührten. Farbenprächtige Bilder explodierten auf seiner Netzhaut, und sein Kopf füllte sich mit einer pedantischen, mechanischen Stimme, die einen Vortrag über die sozio-ökonomische Politik der japanisch-australischen Allianz hielt. Er legte die Finger auf die Schreibmaschinentastatur und wartete auf den Fragenteil, der gleich folgen würde. Aber trotz allem spürte er immer noch die kalte, bösartige Gegenwart von Miß Fredricks; ohne die Haube vom Kopf zu nehmen, hätte er jederzeit auf sie deuten können; sein Finger würde ihr folgen, wie eine Kompaßnadel einem beweglichen Magneten folgte, während sie lautlos in den Gängen auf und abging. Einmal erschien sie wie ein Gespenst in seiner Reihe, glitt an seinem Platz vorbei und streifte ihn mit dem Rocksaum – bei der Berührung zuckte er voller Schrecken und Abscheu zurück, und er spürte, wie sie stehenblieb und auf ihn herniederstarrte. Er atmete erst wieder, als sie weitergegangen war. Während dieser Stunden war sie ständig in Bewegung, sie streifte rastlos durch den Raum und hing brütend über der Klasse, die unter den Hauben verborgen dasaß, und sie beobachtete sie, nicht liebevoll, sondern mit eiskaltem Abscheu. Sie haßte sie, erkannte Tommy, in ihrer sterilen, leidenschaftslosen Art – und es würde ihr gefallen, wenn sie sie alle töten könnte. In ihren Augen stellten die Kinder etwas Schreckliches dar, irgendein Versagen, einen Mangel in ihr selbst, die Verkörperung des wie auch immer gearteten Vorgangs des Verdorrens, der das Leben aus ihr herausgepreßt und sie zu einer Mumie gemacht hatte. Ihr Haß gegen sie war wie ein hungriges Vakuum von Bösartigkeit. Sie saugte alles in sich auf, um es zu verneinen, zu vernichten und auszulöschen.
    Während der Pause, in der halben Stunde „verschärften Spielens“, bemerkte Tommy, daß die anderen Kinder seiner Klasse ihm voller Unbehagen aus dem Weg gingen. „Ich kann nicht mit dir reden“, flüsterte Bobbie verstohlen, als sie zum Volleyballspiel zusammengeschart wurden. „Du bist ein schlechter Einfluß. Miß Fredricks hat

Weitere Kostenlose Bücher