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Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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einen scharfkantigen Felsengrat rollte. Einen Augenblick lang drang die Sonne durch die hohen, grauen Wolken und erwärmte die Felsen, so daß Tommy beim Klettern der Schweiß ausbrach. Endlich zog er sich auf den abgeflachten Gipfel der Anhöhe hinauf und trat hinüber an die andere, dem Meer zugewandte Seite. Dort setzte er sich hin, grub die Finger in das absterbende Gras und ließ die Füße über die Kante baumeln.
    Die Böschung hier bestand aus weichem, zerbröckelndem Gestein, dicht bewachsen mit Moos und Wicken. Sie reichte hinunter bis in die salzige Marsch, die sich etwa eine Meile weit erstreckte und schließlich in den Ozean überging. Es war fast unmöglich, die genaue Grenzlinie zwischen Marschland und Meer auszumachen; Tommy sah glitzernde Wasserfinger, die tief ins Land hinein vordrangen, und Klumpen von Gras und Binsen weit draußen in dem, was die See sein mußte. Dies war gefährliches, unbetretbares Gelände, und Tommy hatte sich noch nie über den Fuß der Böschung hinaus vorgewagt – es gab Fließsand dort draußen in den tiefen Sumpflöchern, und Tommy hatte auch schon Gerüchte über Mokassin- und Klapperschlangen gehört, wenn er auch noch nie eine gesehen hatte.
    Es war eine trostlose, ungastliche Stelle, aber es war auch eine „Stelle“, und so setzte Tommy sich zurecht, um zu warten, die ganze Nacht, wenn es sein mußte, obgleich der Gedanke an diese Möglichkeit ihn vor Angst fast den Verstand verlieren ließ. Vom Gipfel der Anhöhe aus konnte er in jeder Richtung meilenweit sehen. Im Norden, jenseits der Marsch, sah er eine Reihe von bewaldeten Inseln, die ins Meer hinauszuwandern schienen, in immer tieferes Wasser, bis nur noch die kahlen Felsenklippen, die man vom Strand aus sah, sich über die ruhelose Oberfläche des Nordatlantik erhoben. Wenn man sich nach Westen wandte, konnte man dieselbe Linie leicht bis zu der Hügelkette weiterverfolgen, die zum Hochland hin allmählich anstieg, und man erkannte, daß die Inseln nichts anderes waren als im Ozean versunkene Hügel, die nur noch mit ihren Gipfeln aus dem Wasser ragten. Ein Thant hatte ihm davon erzählt, er hatte ihm geschildert, wie das trockene Land sich einst hundert Meilen weiter nach Osten erstreckte, bevor das Eis kam, und wie er zugesehen hatte, wie der hungrige Ozean über alles hinwegwogte und Hügel, Flüsse und Felder in einer grauen Wand von eisigem Wasser ertränkte. Tommy hatte es nie vergessen, und seither betrachtete er den Ozean, wie jetzt, stets mit einem Hauch von ungemütlicher Furcht, halb darauf wartend, daß er sich bebend aufwölbte wie das Fell eines riesigen, unruhigen Tieres, um sich dann in ungeheurer Gewalt über das Land zu ergießen. Der Thant hatte ihm gesagt, ja, das könne geschehen, und es werde wahrscheinlich auch nach einer Weile geschehen, obgleich „eine Weile“ für einen Thant leicht tausend oder zehntausend Jahre bedeuten konnte. Er hatte sich jedenfalls über diese Aussicht keine Sorgen gemacht, denn für einen Thant würde es kaum einen Unterschied ausmachen, wenn es überhaupt kein Land mehr gäbe. Sie benutzten das versunkene Land im Osten immer noch, ohne daß sich dabei für sie viel geändert hatte. Er hatte Tommy auch von dem Eis erzählt, von der tiefen, blauen Kälte, die die Welt eingehüllt hatte, von den schimmernden, meilenhohen Bollwerken, die sich mahlend über das Land geschoben hatten, vorwärts wogend und wieder zurückweichend. Es hatte lange gedauert, selbst für einen Thant.
    Tommy saß auf seiner Felsenhöhe, und die Zeit erschien ihm so lang wie die Herrschaft des Eises. Es kam ihm so vor, als wäre er mit dem Felsen verwachsen, während er zusah, wie die Sonne hin und wieder zwischen den eisenfarbigen Wolken auftauchte und Strahlen von wäßrig-goldenem Licht wie Lanzen auf die Landschaft herunterfahren ließ. Er sah eine Familie von Jeblings, die über die Grashügel hinweg nach Westen glitten, und gleich fühlte er sich ein wenig besser – zumindest waren die Anderen Leute nicht allesamt verschwunden. Die Jeblings erkundeten eine eingezäunte Wiese, die ein Stück weit bergauf gelegen war; schwarze Kühe grasten dort unter knorrigen Zwergapfelbäumen. Tommy sah in aller Seelenruhe zu, wie einer der Jeblings sich über den Zaun erhob und auf dem Rücken einer Kuh niederließ, einen haarfeinen Rüssel ausstreckte und zu trinken begann – er saugte das Zeug ab, das er zum Leben brauchte. Die Kuh hörte nicht auf zu grasen. Friedlich kaute sie auf ihrem

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