Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kopernikus 9

Kopernikus 9

Titel: Kopernikus 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
Vom Netzwerk:
ihnen wird sterben und welche nicht? Jedes Mal, wenn wir seitdem diesen Punkt passieren und eine Frau von solcher Schönheit an Bord ist und ich den Mord rekapituliere, wird es schwerer, davon zu erzählen.
    Ich mixe einen Drink für die Frau im Salonwagen (ihre Augen sind genauso violett wie die der ermordeten Frau, obwohl diese hier ihr kastanienbraunes Haar lang trägt, wogegen die Mode damals aus einem Helm aus Haar bestand, kurzgeschnitten und blau getönt wie die Sterne vor uns oder rot wie jene auf der Strecke hinter uns).
    Das Problem ist, daß ich überhaupt nicht lebe. Der, der ich einmal war, ist schon lange gestorben. Hier steht, wer er war:
    Er war Lars Amudsen, ein gröhlender, grünäugiger Riese, dessen Bart, wenn er einen trug, rot war, und dessen Drink, wenn er trank, Würz-Grog war, der Drink der Raumer. Er war ein Raumer, einer von denen, die die galaktische Eisenbahn gebaut haben. Er war einer von denen, der (als der Würz-Grog ihn veränderte, als der Weltraum ihn veränderte), in einem Glassit-Handschuh schwebend, eine Meile vor der Nase des Schienenschiffs ritt, eine Million Male pro Sekunde mit Leptonen bombardiert, eine Million Male pro Sekunde explodierend, jede Millionstelsekunde seinen Abdruck in den Raum hämmernd und der Geodäsie der Gravitation folgend. Er war es, dessen Persönlichkeit so kräftig ausgeprägt war, daß die zerstückelte Wiedergabe davon ein Jahrtausend später die Waggons des Weltraumzuges zehntausend Parsec zum Galaktischen Zentrum ziehen konnte. Er starb, wie jeder starb, nicht länger gröhlend, ein alter, vom Grog benebelter Raumer, auf Chiron, und nichts bezeugte, daß dreißigtausend Lichtjahre von ihm zwischen den Sternen gespannt waren, außer daß er verbrauchter war, als ein Mann vom Alter abgenutzt wurde. So viele Schichten von ihm waren verschwunden, sein Wesen schien weich und porös zu sein, wo der Raum und die Leptonen es aufgelöst hatten.
    Einen Tag weiter, kurz nach dem Mord, gibt es einen Abschnitt, wo ich für eine Stunde lang nicht ich bin. Ich weiß nicht, wer mich hier im Zug ersetzt. Es gab dort einen Unfall. (Ich sehe die Geisterschienen gähnen, eine leere Stelle, eine Lücke in den Schienen. Etwas hat die Trasse weggerissen, und wir enden an der Lücke. Die unvorstellbare Geschwindigkeit des Zuges endet, und plötzlich, ohne die Stärke meiner Persönlichkeit, den fundamentalen Gesetzen unterworfen, laut denen sich nichts so schnell bewegen kann, endet auch der Zug. Man sagt, daß der Blitz eine Supernova beschämt hätte. Jahre, nachdem ich gestorben war, reparierte der Körper eines anderen Raumers die Schienen, um die Lücke zu überbrücken. Wer war sie? Wer war er? Ich weiß es nicht. Ich verschwinde einfach für eine Stunde, und der andere ist hier auf dem Zug. Es gibt andere Lücken, eine fast einen ganzen Tag lang, aber diese kurz hinter dem Mord ist die schlimmste. (Bleiche Gesichter. Ich sehe nach der Lücke immer bleiche Gesichter und betäubte Blicke bei den Reisenden.) Die Passagiere werden mir das niemals erzählen: Ist es ekelhaft? Ist es herrlich? Ist es eine höllische oder eine verzauberte Stunde? (Fürchten sie sich deshalb? Die Passagiere haben sich merkwürdigerweise zerstreut, seitdem die Lücke repariert wurde.)
    Sie ist ganz betrunken, die Lady mit dem kastanienbraunen Haar im Salonwagen. Wir sind allein. (Bei dieser Fahrt sind fünfzehn Reisende auf meinem Zug. Fünfzehn! Vielleicht wird es meine letzte Fahrt sein. Die Schließung der Strecke wurde angedroht.) „Ich würde dich ins Bett begleiten“, sagt sie, „wenn ich wüßte, wer du bist, wenn wir dort sind.“ Dort sind Sterne, blau vor uns, rot werdend hinter uns, sie bewegen sich, als würde der Zug stehen. (Wir klappern mit stetigen dreißig Lichtjahren pro Stunde voran, langsamer in den Kurven, schneller in den Geraden, kämpfen uns die Schwerkraftberge hinauf, plumpsen hinter ihnen hinunter).
    „Du brauchst dich davor nicht zu fürchten“, erkläre ich ihr, „ich verändere mich sehr langsam. So wie jetzt bin ich einige Tage.“
    Sie lacht. „Schön, ich will dich nicht.“ Das ist es, was die ermordete Frau auch sagte. (Sie sagte, daß ich ein Geist sei, ein Nichts, eine imaginäre Manifestation der Schienen. Sie ließ mich an der Stärke meiner Persönlichkeit zweifeln, ohne die ich tatsächlich nichts bin, und der Sternenzug endet. „Ich will dich nicht“, sagte die blauhaarige Frau. „So betrunken bin ich nicht.“)
    Etwas Seltsames passiert,

Weitere Kostenlose Bücher