Kopernikus 9

verkrüppelt oder impotent. Aber du? Du machst doch einen ganz normalen Eindruck. Wozu brauchst du einen Engel, Brand? Was hast du gegen Frauen?“
    „Mit Engeln lebt es sich leichter“, fauchte Brand. „Und sie tun, was man ihnen sagt. Hör auf, deine Nase in Dinge zu stecken, die dich nichts angehen, und mach lieber die Signallichter klar. Ich will mit unseren Freunden da draußen reden.“
    Robi runzelte die Stirn. „Wozu reden? Schnappen wir uns doch einfach ein paar, es sind schließlich genug da …“
    „Nein. Ich will eine ganz bestimmte finden. Ihr Name war Melissa.“
    „Hmpf“, machte Robi. „Engel und Flitzer. Du solltest es hin und wieder mal mit einer Beziehung zu einem Menschen probieren, Brand. Nur so zur Abwechslung, verstehst du.“ Aber während sie sprach, machte sie die Signallichter fertig.
    Und über das Nichts hinweg rief Brand. Einer der Flitzer antwortete und verschwand dann. „Sie kommt“, sagte Brand mit fester Stimme, während sie warteten. „Selbst jetzt noch kommt sie.“
    Inzwischen flatterte der Engel aufgeregt auf der Brücke umher.
    „Nun beruhige dich mal“, rief Brand ihr zu. Selig flog sie zu ihm hinab und schmiegte sich in seinen Schoß.
    „Was machen die Flitzer?“ fragte sie, ihre Arme um ihn geschlungen. „Verraten sie uns jetzt ihren Trick, Brand? Fliegen wir jetzt zu den Sternen?“
    „Bald, Engel“, gab er geduldig zurück. „Bald …“
    Dann war Melissa da und vom Sichtschirm erfaßt. Brand spürte, wie ein Schauer durch seinen Körper ging.
    Ihre Haut war jetzt milchweiß, ihr Haar ein Heiligenschein aus flutendem Silber. Aber sonst war sie unverändert. Sie hatte die festen Kurven einer Zwanzigjährigen und das Gesicht, an das Brand sich erinnerte.
    Er scheuchte den Engel von seinem Schoß, wandte sich der Konsole zu und drückte einige Knöpfe.
    Die Sterne draußen begannen zu flackern. Der helle Fleck der fernen Sonne verlor an Leuchtkraft. Die Schiffsrümpfe des Dschungels, das Hades-Rad, die Wechselstation: Alles wurde ein wenig düsterer. Nur Melissa und die anderen Flitzer blieben unbeeinträchtigt.
    In der Blase gefangen.
    Robi lächelte und wollte etwas sagen. Mit einem Blick bedeutete Brand ihr zu schweigen. Seine Signallichter sprachen zu Melissa. Als sie antwortete, schaltete er den Sicherheitsschirm aus, um sie einzulassen.
    Er traf sie im Korridor gleich hinter der Luftschleuse. Robi war auf der Brücke geblieben.
    Sie blieben in zehn Fuß Entfernung voneinander stehen. Sie berührten einander weder, noch lächelten sie.
    „Brand“, sagte Melissa schließlich. Sie musterte ihn aus eisblauen Augen in einem kalten, unbewegten Gesicht, und in ihrer Stimme lag ein rauchiger Ton, an den er sich nicht erinnerte. „Du … was tust du? Wir sind nicht … keine Dunklen … die man einfängt.“ Ihre Worte kamen seltsam stockend und ungeläufig.
    „Hast du das Sprechen verlernt, Melissa?“ fragte Brand. Gleichzeitig glitt die Schiebetür zur Brücke hinter ihm auf. Heraus kam der Engel und blieb in der Luft hängen.
    „Oh“, sagte sie zu Melissa. „Du bist aber hübsch.“
    Melissa warf ihr einen kurzen Blick zu, vergaß sie sogleich wieder und wandte sich wieder an Brand. „Manches habe ich verlernt. Zehn Jahre, Brand. Mit den Sternen. Nicht … ich bin nicht mehr ein Mensch. Ich bin jetzt Älteste, eine Älteste unter den Flitzern. Mein … mein Ruf kommt bald.“ Sie hielt inne. „Warum hast du den Schirm um uns gemacht?“
    „Eine neue Art von Schirm, Melissa“, sagte Brand lächelnd. „Hast du es noch nicht bemerkt? Er ist dunkel. Eine neue Raffinesse, gerade erst auf der Erde erfunden. Dort ist viel mit Schirmen experimentiert worden, und ich habe alles verfolgt. Ich hatte eine Idee, Liebste, aber mit den bisherigen Schirmen ging es nicht. Diese Variante hier ist eine technische Weiterentwicklung. Und ich bin der erste, der die Anwendungsmöglichkeiten sieht.“
    „Weiterentwicklung. Anwendungsmöglichkeiten.“ In Melissas Mund klangen die Worte seltsam, fremd, unmenschlich. Ihr Gesichtsausdruck war verstört.
    „Wir werden gemeinsam zu den Sternen reisen, Melissa.“
    „Brand“, sagte sie. Einen Moment lang schwang ein fast menschliches Beben in ihrer Stimme. „Gib auf, Brand. Gib … mich auf. Und die Sterne. Das sind … das sind Träume von früher, und sie sind schal geworden. Verstehst du? Kannst du nicht verstehen?“
    Der Engel sauste den Korridor auf und ab und kam jedesmal ein bißchen näher an Melissa heran.