Kopernikus 9

lebendigem Leibe vierteilen lassen wollte? Ihr und die anderen habt mich nicht einmal angesehen, als ich mich im Staub erniedrigte … nicht einmal dann, als Kooba lachend aufstand und mich als Jägerhure bezeichnete. Und nun sieh mich an, Nassam!“ Sie sah ihm direkt in die Augen. „Macht mich nicht allein die Tatsache, daß ich an der Strahlenkrankheit leide, zu einem Teil von euch? Zu einem Teil dieser … Gemeinschaft? Habe ich mir denn nicht das Recht erworben, daß man ernsthaft über meine Meinung diskutiert?“
    Sie lehnte sich zurück und kämpfte, durch die Nase atmend, um ihre Selbstbeherrschung. „Suche einen abgeschirmten Ort und bewege die anderen dazu, dorthin zu ziehen, Nassam. Wir müssen nicht einmal die Hütten mitnehmen, dort würde eine provisorische Lösung genügen.
    Sprich mit den anderen. Überzeuge sie davon, daß etwas geschehen muß; wartet nicht einfach nur auf das Ende. Sie werden dich anhören, du bist ein guter Führer, und deswegen bewundern sie dich. Ich bewundere dich auch deswegen. Deshalb habe ich dich geheiratet.“
    „Du nahmst mich zum Gefährten, weil ich der Führer war?“ Er hatte immer angenommen, daß sie ihn wegen seines Jagdgeschicks und wegen seiner Unabhängigkeit liebte.
    „Ich habe dich geheiratet, weil ich der Meinung war, du würdest Kooba schlagen.“ Scham klang in ihrer Stimme mit und auch – was, wie Nassam wußte, auf ihre Verzweiflung zurückzuführen war – die Notwendigkeit, ihn zu verletzen. „Ich wollte Königin werden.“
    Da verließ er sie, denn er wollte ihre kalte, sadistische Wut nicht mehr länger erdulden. Draußen schlief Leeani am Ende eines Flures. Sie hatte sich in eine fötale Haltung zusammengekauert. Nassam sah nochmals zu Cholas Hütte, dann legte er sich ebenfalls hin.
    Er beschloß, bei Einbruch der Abenddämmerung zusammen mit Leeani die große Schlammbestie zu jagen, deren Ruf sie zuvor gehört hatten. Kamen sie am anderen Morgen mit leeren Händen zurück, würde er sich auf die Suche nach einem anderen Lagerplatz machen, so fruchtlos dieses Bemühen auch sein mochte. Das wenigstens wollte er versuchen.
     
3
     
    Liebe war in ihr: die Bewegungen eines Ungeborenen. Von Schlamm umgeben, erwachte die Große bei Einbruch der Nacht vor Hunger. Ihr Verstand träumte noch von dem Wissen, das von vierzig Generationen anderer Großer auf sie übertragen worden war. Das Wissen, daß sie gleichermaßen verstand und fürchtete. Von Sternen und Raumschiffen erzählte das Wissen, von Neutronen und dem Schlamm. Aber auch von der Erlösung – womit nur die Aufgabe des Sumpflebens gemeint sein konnte. Einen Augenblick lang verschloß sie den Geist vor Wissen und Hunger zugleich. Sie wagte nicht zu essen, die Jäger mochten unterwegs sein. Sie hörte nicht mehr gut, und die Schwänzigen hatten sich in letzter Zeit zu ungemein geschickten und gerissenen Geschöpfen gemausert. Doch dann regte sich erneut die Liebe in ihr. Essen mußte sie. Sie ergab sich nicht der Furcht, sondern der Freiheit, sich in Sicherheit fürchten zu dürfen, und stieg zur Oberfläche des Sumpfes empor, wo sie den Kopf beugte und sich so gut es ging zu hören bemühte. Wenn sie erst Nahrung aufnahm, würde sie Atemnot bekommen, und das würde dann zu einem Trompeten führen, das weit über den ganzen Sumpf zu hören sein würde. Bisher aber störten nur die Kreischkäfer die Stille. Sie wälzte sich zum Rand ihrer Kuhle, wo sie eine ganze Pilzkultur fand, an der sie sich gütlich tat.
     
    Wenn er sich auf seine Erinnerung verlassen konnte, dann näherten sie sich dem Ort, wo er heute morgen das Trompeten vernommen hatte. Sie pirschten sich langsam vor – Nassam trug einen Speer, Leeani einen Kurzbogen, ein Seil und einen Köcher.
    „Wenn deine Frau der Meinung ist, wir würden noch einmal umziehen“, sagte sie in sorgsam kontrolliertem Flüstern, „dann scheint die Seuche ihr Gehirn angegriffen zu haben. Hör nicht auf sie, Nassam, und erzähle vor allen Dingen den anderen nichts davon. Wir alle, die an deiner Seite gekämpft haben, sagten dir, wir würden dir bis ans Ende der Welt folgen, und du weißt, daß ein aufrechter Styelenier niemals sein Wort bricht. Aber einige behaupten, daß der Eid nicht mehr bindend ist, da wir uns auf einer anderen Welt befinden.“
    „Ich sagte nur, ich werde nach einem Ort mit dichter Vegetation suchen. Ich möchte sie nur glücklich machen. Ich habe nie gesagt, daß ich sie ernst nehme.“
    „Aber das wirst du, Nassam. Ich