Kopernikus 9
aufgefallen, wie seltsam diese Blätter aussehen. Ich wurde zwar in anorganischer Chemie ausgebildet und nicht in Botanik, aber ich weiß, daß man so fleischige, sukkulente Pflanzen normalerweise mit Wüsten in Verbindung bringt – nicht mit einem tropischen Klima, wie es hier herrscht. Und doch kommt die Pflanze hier im gesamten Gebiet vor, abgesehen von den Restbergen. Nach allem, was wir wissen, ist nicht auszuschließen, daß sie auf dem ganzen verdammten Planeten beheimatet ist.“
Sie schwieg einen Augenblick, dann fuhr sie fort: „Ich muß zugeben, als wir zum erstenmal umgezogen sind, da hatte ich noch die Befürchtung, daß Leeani recht haben und die Tiere ganz einfach gegen die Strahlung immun sein könnten. Vielleicht sind sie das auch. Keine Ahnung. Und wir haben auch keine Möglichkeit, das festzustellen.
Aber ich weiß, daß etwas hier unten die Strahlung abblockt. Wenn wir immer noch über den Sümpfen leben würden, wäre ich mittlerweile wahrscheinlich schon tot. Ich bin nicht sicher, ob die Strahlung den Restbergen, der Sonne oder welcher Quelle auch immer entspringt – aber etwas hier unten reduziert die Intensität. Das ist keine Frage der Entfernung. Das wissen wir seit dem zweiten und dritten Umzug.“
„Ich kann nur eine Ursache dafür annehmen“, fuhr sie fort und schüttelte verwirrt den Kopf, „und das ist diese verrückte Pflanze hier.“
Nassam nahm die Pflanze und hielt den Stiel sorgfältig zwischen Daumen und Zeigefinger. Er drehte die Pflanze um und starrte sie an.
Dann runzelte er die Stirn. Immer, wenn sie von der Strahlung sprach, wurde er verwirrt. Hatte sie ihm denn nicht gesagt, daß nur eine zwanzig Zentimeter dicke Bleiplatte die Dinge aufhalten konnte, die sie Gamma- und Kobaltstrahlen nannte?
Wenn er diese Strahlungsdinge, von denen sie immer sprach, doch nur sehen könnte. Aber wie konnte man sich gegen etwas verteidigen, das, wie sie sich ausdrückte, „in der Luft“ war? Konnte man Strahlung mit dem Speer niederstrecken? Konnte er sie zwischen den Knien würgen, bis sie wie eine Schlammbestie starb? Konnte er sie austreiben wie daheim eine Krankheit, mit heißen Salzbädern und brennenden Janfurblättern? Sie verneinte dies.
Das ganze Ding erinnerte verdammt an Zauberei. Und er war nun eben mal kein Magier.
„Dann hat uns diese Pflanze also geholfen?“
Sie betrachtete sie, und plötzlich huschten Verzweiflung und Frustration über ihre Züge – die Gesichtsmuskeln wurden hart, kaltes Entsetzen war in ihren Augen zu lesen. „Ich weiß nicht“, sagte sie mit zitternder Stimme. „Die ganze Sache ergibt überhaupt keinen Sinn.“ Sie richtete den Blick auf ihn. Daß er ihre Hypothese nicht als absurd abtat, daß er ihre Ausführungen überhaupt verstand, schien die Verzweiflung etwas zu lindern. „Wir müssen einen Ort suchen, wo das Gestrüpp über uns besonders dicht ist“, sagte sie.
Er betrachtete das Blatt und fragte sich dabei, ob er ihr sagen sollte, daß das Gestrüpp hier ebenso dicht war wie anderswo auch. Tatsächlich war der Pflanzenwuchs andernorts sogar eher spärlicher, so daß das Sonnenlicht viel ungehinderter eindringen konnte. Dort ließ sich die Jagd schlecht an – anders als im Halbdunkel, wo es viele Schlammbestien gab.
Darüber hinaus war die Dichte des Pflanzenwuchses nur das halbe Problem. „Selbst wenn ich einen solchen Ort finden könnte“, sagte er, „bezweifle ich, daß die anderen mitmachen würden. Nach den beiden letzten vergeblichen Umzügen werden sie wahrscheinlich einen Beweis dafür verlangen, daß deine Theorien richtig sind.“
„Einen Beweis, obwohl sie sterben müssen?“
„Und selbst mit einem Beweis werden sie vielleicht nicht weiterziehen. Sie würden wissen, daß es dein Vorschlag war. Sie könnten dem Beweis mißtrauen.“
„Weil ich eine Terranerin bin.“ In ihren Augen stand ein Blick, der, wie Nassam wußte, nicht Haß war, dem aber sehr nahekam.
„Weil du dich schon zweimal geirrt hast. Und … ja, weil du eine Terranerin bist.“
Ihr Blick wurde finster. „Dein Volk und seine verdammte Vendetta! Was bin ich denn, der Inbegriff der terranischen Rasse? Ich habe in der verdammten terranischen Armee nichts anderes getan, als einen Jeep zu fahren! Habe ich nicht schon genug für dein Volk durchgemacht? Stand ich nicht in vorderster Front, als wir uns gegen Kooba erhoben? War ich es nicht, die während deiner Verhandlung auf die Knie fiel und um die Verbannung bat, als Kooba dich bei
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