Kopernikus 9
automatisch auf Außenübertragung. Die Bildschirme zeigen eine mit wogenden, gelben Feldern überzogene Hügellandschaft, die allmählich in eine Senke übergeht, an deren Horizont sich quer eine dicke, glitzernde Schlange durch grüne Wiesen windet.
„Der Fluß“, sagt Obersen.
„Scheint ziemlich breit zu sein“, vermutet Fischer.
Herbstmann macht die Tauchversiegelung klar. Die Piranhas schwirren schon dicht oberhalb der Wasseroberfläche, haben ihre Doppelreihenformation aufgegeben und sondieren pfeilschnell das Areal in allen Richtungen. Das Wasser des wirklich breiten Flusses wälzt sich träge und schmutziggrau dahin, nur unterhalb der Piranhas kocht es auf, aufgewühlt vom Luftdruck der Kissenfahrzeuge.
Mit gesteigerter Geschwindigkeit donnert das C HAMÄLEON auf das Ufer zu, rast übergangslos hinein in die aufgepeitschten Fluten, sinkt. Einen Moment mahlen die gewaltigen Ketten leer. Dann fassen sie modrigen Untergrund, fressen sich hinein und treiben die Festung schlingernd vorwärts. Sämtliche Kameras des C HAMÄLEON bilden trübes, dunkles Wasser ab, welches das C HAMÄLEON jetzt fast ganz umspielt.
Die Kameras der Piranhas zeigen im schnellen Wechsel nur noch den riesigen Geschützturm, der durch das ruhig fließende Wasser pflügt, aber auch er ist halb bedeckt. Dann taucht das C HAMÄLEON wie ein Urzeit-Saurier aus den Fluten auf und nimmt wieder festes Land unter die Ketten. Es wälzt einen sich am Ufer entlangziehenden, hohen Stacheldrahtzaun um, läßt tiefgestaffelte Panzersperren zerbrechen wie dünnes Glas.
Plötzlich sind die Piranhas in Aufruhr. Ihre Thermo-Taster haben Witterung aufgenommen. Alles geht sehr schnell, die Übertragung in den Kontrollraum ist chaotisch: Irgendwo stehen Jägerstände oder Wachtürme, die von den Piranhas mit Feuerlanzen attackiert werden, brennende Puppen stürzen heraus und fallen zu Boden. Ein Schwärm Panzer kommt von der linken Flanke heran, aber Fischer hat schon reagiert, die Attrappen werden unverzüglich unter Feuer genommen und ausgeschaltet.
Herbstmann schaltet auf die Kamera am Geschützturm um, die die gesamte linke Flanke im Blickfeld hat. Er will sich die Trefferquote genau aus der Nähe ansehen. Aber das Bild auf dem Schirm ist seltsam verschwommen.
„Das Objektiv der Kamera LA 1 scheint verschmiert zu sein“, meldet Herbstmann an Sticher.
Die Piranhas schießen nach vorn. Reihen von wie Geysire aufsteigender Dreckfontänen zeigen an, daß sie ein Minenfeld räumen, um dem immer noch vorwärts donnernden C HAMÄLEON den Weg freizumachen.
Schon ist die mobile Festung hindurch, fährt auf ein dichtes Waldgebiet zu. Ruhe kehrt ein. Sie scheinen den ersten Übungskomplex bestanden zu haben.
Sticher zeigt seine Zufriedenheit nicht. Sachlich und knapp befiehlt er Obersen die Überprüfung der funktionsuntüchtigen Kamera und die Desaktivierung der Piranhas, damit die Thermo-Taster draußen Obersen nicht wittern können, wenn er den Befehl ausführt.
Obersen sucht fluchend die Sprühpistole aus dem Ersatzteildepot, mit der er das verschmutzte Kameraauge wieder säubern will. Aber er flucht eigentlich mehr aus Gewohnheit, nicht weil er wirklich eine Abneigung gegen den Befehl hat; Befehle, die ihm Pflege und Wartungsaufgaben am C HAMÄLEON übertragen, führt er am liebsten aus.
Mit der Sprühpistole in der Hand läuft er gebückt durch den schmalen, nur schwach beleuchteten Gang zur Ausstiegsluke. Er erklimmt die schwere Stahlleiter und öffnet die Luke.
Sonnenlicht flutet herein. Obersen atmet tief durch und erfreut sich an der frischen und klaren Luft.
Vorschriftsmäßig schließt er die Luke wieder und geht mit hallenden Schritten auf dem harten Metall, dessen Legierung jetzt eine waldgrüne Färbung angenommen hat. Er erklimmt den riesigen Gefechtsturm in der Mitte der mobilen Festung, der die Aufgabe hat, schon vor dem eigentlichen Angriff die andere Seite der Front sturmreif zu schießen.
Von der Plattform, die seitlich den Turm umkränzt, hat man die beste Aussicht ins Land.
Waldgrün.
Waldgrün ist der Wald. Waldgrün ist das C HAMÄLEON .
Tannen und Kiefern. Sandboden. Vorn splittern die Bäume, werden zu Brei zermalmt von den gewaltigen Ketten der mobilen Festung. Splittern wie Streichhölzer.
Aufgeschreckte Vogelschwärme schwirren heimatlos durch die Luft. Über ihnen und den Wipfeln links und rechts pfeifen die Piranhas durch das aufgewühlte Luftmeer.
Hinter dem C HAMÄLEON frißt sich eine breite Schneise durch
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