Kopernikus 9
gesprenkelt.
Hellrot aus Waldgrün.
Das Objektiv ist wieder sauber, Obersen ist zufrieden. Er beugt sich mit dem Gesicht vor die Linse, lächelt hinein, streckt die Zunge heraus und zeigt die Zähne. Drinnen müßten sie ihn sehen können. Er aber sieht nur sein eigenes Gesicht in verzerrter Perspektive: die Nase überdimensional groß, die rote Zunge, die zur Seite fliehenden, aufgerissenen blauen Augen, die eingegrabenen Falten darunter und das entfernte, blaßblonde, strähnige Haar.
Ein merkwürdiges, einförmiges Singen liegt in der Luft. Es setzt sich sogar gegen die stöhnend berstenden Holzstämme und die dröhnenden Antriebsmotoren des C HAMÄLEON durch.
Obersen blickt angestrengt in den strahlend blauen Himmel. Schwarze Punkte am Horizont. Viele schwarze Punkte, die näher kommen, schnell näher kommen.
Flugzeuge?
Flugzeuge!
Scheiße. Einen unpassenderen Moment hätte sich die Übungsleitung nicht aussuchen können.
Der Kranz von Geschützrohren kommt in Bewegung, die drohenden Münder schwenken in Richtung der Angreifer. Die gegen Flugangriffe schutzlosen Piranhas verschwinden zischend von den Wipfeln der Bäume, schmiegen sich eng, flach und unsichtbar an den Mutterleib des CHAMÄLEON.
Die schwarzen Punkte sind jetzt schon fußballgroß. Sie brummen wie aggressive Hornissen kurz vor dem Stich.
Die hintere Batterie feuert. Kurz züngeln Flammen aus den dunklen Geschützmündern. Der Rückstoß läßt die mit leichtem Rauch umkräuselten Rohre krachend zurückschnellen. Die fauchenden Geschosse klatschen irgendwo hinten wirkungslos in den Sandboden.
Warnschüsse.
Warnschüsse, die zeigen, daß die Besatzung des C HAMÄLEON III die Übung ernst nimmt. Warnschüsse, die der Übungsleitung offenlegen, daß sie diesmal nicht geschlafen haben wie beim letzten Manöver, als die Bomber ihre Last dicht neben der mobilen Festung abladen konnten. Sie haben den Reaktionstest bestanden, Obersen ist stolz.
Die Flugzeuge könnten jetzt abdrehen.
Die Flugzeuge drehen nicht ab.
Obersen steht sprachlos mitten auf der Plattform des riesigen Geschützturms.
Sie kommen direkt. Sie sind da.
Dröhnende, röhrende, donnernde Flugkörper.
Aus ihren Bäuchen torkelt dunkles Geschmeiß, detoniert auf der Oberfläche des C HAMÄLEON . Wie in Zeitlupe sieht Obersen mit schreckgeweiteten Augen den eben noch kreiselnden Radarschirm in Fetzen gehen. Zwei dunkle Krater fressen sich in die waldgrüne Oberfläche.
Sie sind weg.
Obersen kann es nicht fassen. Und seine Augen signalisieren seinem Hirn: Das waren nicht unsere Flugzeuge, das waren die Flugzeuge der anderen. Die Signale erreichen sein Hirn nicht. Obersen steht wie erstarrt auf der Plattform.
Sie wenden.
Sie kommen zurück.
Aus allen Rohren donnern die Geschütze des C HAMÄLEON . Feindliche Flugkörper zerplatzen getroffen ohrenbetäubend in der Luft, einer nach dem anderen. Die mobile Festung zittert vor Wut. Die überall herumrasenden Trümmer verdunkeln die Sonne.
Obersen wacht endlich auf, will fliehen. Blind vor Rauch stürzt er zur Leiter. Zu den anderen!
Er spürt einen heftigen Schlag gegen die Brust. Kreischend bohrt sich scharfkantiger Stahl in den Geschützturm. Lautlos fällt Obersen zu Boden, preßt die Hand gegen die Brust, gegen etwas Aufgerissenes, Weiches, Warmes, Schwammiges.
Liegt in einer Lache Blut auf dem Boden.
Kraftlos fällt die Hand zur Seite.
Rot. Hellrot.
Blutrot auf Waldgrün.
Obersen ist tot.
Lichterfeld starrt auf den Bildschirm, auf das Inferno draußen. Fühlt sich, als sähe er einen Kriegsfilm, ohne die Handlung zu begreifen. Sieht einen Menschen in seinem Blut liegen und begreift noch nicht, daß es Obersen ist.
Dann begreift er.
Der Mensch dort in seinem Blut ist Obersen.
Es sind feindliche Flugzeuge.
Es ist kein Film.
Es ist Krieg.
Lichterfeld springt auf und rennt hinaus. Jagt durch den schmalen Gang zur Kommandozentrale, reißt die schwere Tür auf, die dumpf gegen die Stahlwand knallt.
„Krieg!“ brüllt er. „Es ist Krieg!“
Herbstmann und Fischer reagieren nicht. Sie sitzen leichenblaß und angespannt vor den pulsierenden Lichtpunkten, organisieren hektisch die Abwehrkräfte des C HAMÄLEON , holen auch den letzten feindlichen Flugkörper vom Himmel.
Lichterfeld stürzt weiter.
Er weiß, sie haben noch nichts begriffen. Werden es erst begreifen, wenn es zu spät ist.
Lichterfeld stürzt zur Luke, rennt über das Dach der Festung, vorbei an den schwelenden Trümmern, vorbei an zuckenden,
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