Kopf in der Schlinge
belästigt?«
»Was meinen Sie damit, unerwünschte sexuelle Avancen? Er hat mich eines Abends angefallen, als ich von der Arbeit kam. Er hat auf dem Parkplatz gewartet und mich am Hals gepackt, als ich in mein Auto stieg. Ich habe ihm den Hintern bis zwischen die Schultern hoch getreten, und damit hatte sich’s. Er ist schon zweimal wegen Vergewaltigung verurteilt worden, und das waren nur die Fälle, bei denen er überführt wurde.«
»Haben Sie Anzeige erstattet?«
»Wozu? Ich habe mich selbst darum gekümmert. Was soll die Polizei denn machen, hinterher antanzen und ihm auf die Finger klopfen?«
Barrett war nun zu dem kleinen Becken direkt unter dem Tresen vor uns herübergekommen und hielt Teller unters Wasser, die sie anschließend in das Gestell für die Spülmaschine einsortierte, die vermutlich hinten stand. Sie besaß die hellen Augen ihres Vaters und machte kein Geheimnis daraus, daß sie Nancys Bericht lauschte und deren Einstellung begrüßte.
Ich sprach sie an. »Hat er Sie auch angemacht?«
»M-m. Überhaupt nicht«, erwiderte sie, und die Röte stieg ihr langsam in die Wangen. »Ich war damals noch minderjährig, erst knapp achtzehn. Er war nicht so dumm, daß er mich angebaggert hätte.«
Ich wandte mich wieder an Nancy. »Wie steht’s mit anderen Frauen? Irgend jemand Bestimmtes? Earlene oder Phyllis?«
Nancy schüttelte den Kopf. »Nicht daß ich wüßte, aber das heißt nicht, daß er es nicht versucht hätte. Solche Typen machen sich an jede heran, die schwach wirkt.«
»Dürfte ich Sie noch etwas anderes fragen?«
»Klar.«
»Tom Newquist war an dem Abend, als er starb, zuvor hier im Lokal, stimmt’s?«
»Das stimmt. Er ist gegen neun Uhr gekommen und hat einen Cheeseburger und Pommes bestellt. Dann ist er herumgesessen und hat Zigaretten geraucht, als wolle er die Zeit totschlagen. Ab und zu hat er auf die Uhr gesehen. Ich nahm an, daß er mit jemandem verabredet war, aber sie ist nicht gekommen.«
»Weshalb sagen Sie >sie Könnte es nicht auch ein Mann gewesen sein?«
Der Gedanke schien Nancy zu erstaunen. »Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich habe es nur einfach angenommen.«
»Hat er einen Namen genannt?«
»Nein.«
»Hat er telefoniert?«
Sie schüttelte wenig überzeugt den Kopf und wandte sich dann mit fragendem Blick an Barrett. »Weißt du noch, ob Tom Newquist an dem Abend telefoniert hat?«
»Zumindest habe ich es nicht gesehen.«
Ich richtete eine weitere Frage an Barrett. »Hatten Sie den Eindruck, daß er sich hier mit jemandem treffen wollte?«
Barrett zuckte mit den Achseln. »Ich denk’ schon.«
Nancy meldete sich wieder zu Wort. »Wissen Sie, was ich glaube? Er war frisch rasiert. Ich weiß noch, daß ich eine Bemerkung über sein Eau de Cologne oder Rasierwasser gemacht habe. Er sah schnieke aus, als hätte er sich extra aufgebrezelt. Das hätte er doch nicht gemacht, wenn er mit einem Mann verabredet gewesen wäre.«
»Sind Sie auch dieser Meinung?« fragte ich Barrett.
»Er sah schick aus, das stimmt«, bestätigte sie. »Das ist mir auch aufgefallen.«
»Wirkte er verärgert oder gekränkt, als hätte man ihn versetzt?«
»Nicht im geringsten«, erklärte Nancy. »Um halb zehn ist er aufgestanden, hat bezahlt und ist zu seinem Pickup hinausgegangen. Danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich mußte an dem Abend das Lokal schließen, deshalb saß ich hier drinnen fest. Hast du ihn draußen noch gesehen?«
»Auf dem Parkplatz? Ich doch nicht!«
»Mußt du aber eigentlich. Du bist kurz vor ihm rausgegangen.«
Barrett überlegte und runzelte leicht die Stirn, bevor sie den Kopf schüttelte. »Vielleicht hat er hinten geparkt.«
»Wo hatten Sie denn an dem Abend geparkt?« fragte ich.
»Nirgends. Ich hatte kein Auto. Mein Dad hat mich abgeholt.«
»Sie wohnt ja gleich auf der anderen Seite der Siedlung, aber ihre Eltern wollen nicht, daß sie abends zu Fuß nach Hause geht. Sie haben einen richtigen Beschützerinstinkt, vor allem ihr Dad.«
Barrett lächelte, und unter der dunklen Haut konnte man den rosigen Ton ihrer Verlegenheit erkennen. »Ich könnte ja auch Pfarrerstochter sein. Das wäre noch schlimmer.«
Wir plauderten noch ein Weilchen. Das Lokal begann sich mit Gottesdienstbesuchern zu füllen, und ich störte eindeutig. Außerdem wollte ich weiteren Zusammenstößen mit erbosten Bürgern aus dem Weg gehen. Also schlüpfte ich in meine Jacke und ging zum Auto hinaus. Da die Parklücke, die ich gefunden hatte, hinter dem
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