Kopf in der Schlinge
Spekulation.«
»Wer hatte sonst Zugang zu seinen Notizen?«
»Jeder«, antwortete Rafer. »Seine Frau, sein Sohn Brant. Das Haus war die halbe Zeit unverschlossen. Dazu noch die Putzfrau, der Gärtner, die Nachbarn von nebenan und der Typ von gegenüber. Keiner von ihnen hat etwas mit den Polizeibehörden zu tun, aber jeder von ihnen hätte Toms Haustür aufmachen und ohne weiteres hineinspazieren können. Was macht Sie eigentlich so sicher, daß es niemand aus Santa Teresa war? Das Leck muß nicht unbedingt von dieser Seite stammen.«
Ich starrte ihn an. »Das stimmt«, sagte ich. Er hatte wirklich nicht unrecht.
Das Trommeln hörte auf, und er gab sich umgänglicher. »Warum hören Sie nicht auf und lassen es uns erledigen?«
»Was erledigen?«
»Wir sind auch nicht nur auf der faulen Haut gelegen. Wir arbeiten an einer Spur.«
»Das freut mich zu hören. Es würde mir ziemlich stinken, wenn ich die einzige wäre, die hier den Kopf hinhält.«
»Sparen Sie sich den Sarkasmus und drängen Sie nicht. Das ist nicht Ihr Job.«
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie einen Hinweis auf Alfies Mörder haben?«
»Ich will sagen, daß Sie gut beraten wären, wenn Sie nach Hause fahren und von jetzt an uns weitermachen lassen würden.«
»Und was ist mit Selma?«
»Sie weiß ganz genau, daß sie sich nicht in laufende Ermittlungen einmischen darf. Und Sie auch.«
Ich versuchte es auf Selmas Tour. »Es gibt kein Gesetz, das es verbietet, Fragen zu stellen.«
»Das kommt darauf an, wen Sie fragen.« Er sah auf die Uhr. »Vick sitzt im Auto, und wir kommen zu spät zur Kirche«, erklärte er. Er stand auf, zog seinen Mantel zurecht und nahm seine Lederhandschuhe aus der einen Tasche. Ich sah, wie er sie glattzog, und mußte unerklärlicherweise an seine frühmorgendliche Ankunft in der Notaufnahme denken: frisch geduscht und rasiert, schick gekleidet und hellwach. Er sah zu mir herab. »Hat Sie irgendwann mal jemand über die hiesige Geschichte aufgeklärt?«
»Ja, Cecilia.«
Er redete weiter, als hätte ich nichts gesagt. »Ein Trupp Sträflinge wurde aus England in die Kolonien verschifft. Schwerkriminelle waren das, die für ihre schrecklichen Verbrechen buchstäblich gebrandmarkt worden waren.«
»Die >Nota< von Nota Lake«, ergänzte ich brav.
»Genau. Die Schlimmsten von ihnen kamen in den Westen und ließen sich hier in den Bergen nieder. Die Leute, mit denen Sie es jetzt zu tun haben, sind ihre Nachkommen. Sie sollten auf sich aufpassen.«
Ich lachte beklommen auf. »Was, ist das etwa wie in einem Western? Ich werde gewarnt? Ich muß die Stadt bis Sonnenuntergang verlassen haben?«
»Keine Warnung, nur eine Empfehlung. In Ihrem eigenen Interesse.«
Ich sah ihm nach, als er das Lokal verließ, und merkte, wie trocken mein Mund auf einmal war. Ich hatte das Gefühl, das ich früher immer vor dem ersten Schultag bekam, eine unterschwellige Angst, die appetithemmend wirkte. Frühstücken erschien mir nun keine so tolle Idee mehr. Das Lokal hatte sich geleert. Das Paar am Fenster rüstete sich zum Gehen. Ich sah, wie sie ihre Rechnung bezahlten und Barrett die Kasse bediente, während Nancy mit Kaffeekanne und Speisekarte auf mich zugeeilt kam und Entschuldigungen hervorsprudelte. Sie reichte mir die Karte. »Tut mir leid, daß es so lange gedauert hat, aber ich mußte eine frische Kanne aufbrühen. Außerdem habe ich gesehen, wie Sie und Rafer die Köpfe zusammengesteckt haben«, erklärte sie. Sie füllte meinen Becher mit heißem Kaffee. »Wissen Sie schon, was Sie essen möchten? Ich will Sie nicht hetzen. Lassen Sie sich Zeit. Ich möchte Sie nur nicht aufhalten, nachdem Sie so geduldig waren.«
»Ich habe keinen Hunger«, sagte ich. »Am besten setzen wir uns an die Theke, dann können wir uns unterhalten.«
»Aber gern.«
Ich nahm meine Tasse und griff nach dem Besteck.
»Das nehme ich«, sagte sie. Sie packte Speisekarte, Teller und Besteck und ging zum Tresen, wo sie zwischen Kochplatten und Kasse einen Platz für mich deckte. Barrett war gerade dabei, mit einem flachen Spatel den Grill zu reinigen. Speckfett und gebräunte Teilchen von Pfannkuchen und Würstchen wurden in die Fettpfanne gefegt. Nancy wusch einen Lappen aus, wand das überschüssige Wasser heraus und wischte den Tresen sauber. »Alice sagt, Sie hätten sich nach Pinkie Ritter erkundigt.«
»Erinnern Sie sich an ihn?«
»Jede Frau in Nota Lake erinnert sich an ihn«, sagte sie verächtlich.
»Hat er Sie jemals
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