Kopf in der Schlinge
Rafer und Vicky LaMott saßen in der Nische in der Mitte der Reihe freier Tische. Sie waren gerade mit Essen fertig, und ich sah, daß Vicky sich anschickte, nach Handtasche und Mantel zu greifen. James sah übermüdet und abgespannt aus. Er sah mich und nickte — die ideale Mischung aus guten Manieren und Zurückhaltung. Sein gutes Aussehen wurde durch seinen mutmaßlichen Kater nur geringfügig beeinträchtigt. Ich steuerte eine Nische in der anderen Ecke an und murmelte Rafer und Vicky im Vorbeihuschen einen Gruß zu. Ich hatte Angst, auf eine Reaktion zu warten, für den Fall, daß sie mich ebenfalls schnitten. Ich setzte mich so hin, daß ich die Tür im Auge behalten konnte.
Nancy bemerkte mich. Sie wirkte verblüfft, aber nicht abweisend, und ging auf den Tresen zu, um eine Portion Hafergrütze zu holen. »Ich komme gleich zu Ihnen. Möchten Sie Kaffee?«
»Liebend gern.« Offenbar nahm sie nicht an dem gesellschaftlichen Boykott teil. Auch Alice war am Vorabend freundlich zu mir gewesen — zumindest so weit, daß sie mich vor der Eiseskälte gewarnt hatte, die auf mich zukam. Vielleicht waren es nur Männer, die mich ausschlossen; kein tröstlicher Gedanke. Immerhin war es ein Mann gewesen, der mir vor nur drei Tagen die Finger ausgerenkt hatte. Ich ertappte mich dabei, wie ich mir die Gelenke rieb, und bemerkte zum ersten Mal, daß die Schwellung und die Blutergüsse meinen Fingern das Aussehen exotischer, unreifer Bananen verliehen. Ich drehte in Erwartung des Kaffees meinen Becher um und spürte dabei, daß sich meine Finger immer noch nicht richtig krümmen ließen. Es fühlte sich an, als sei die Haut steif geworden und ließe keine Beugung zu.
Während ich darauf wartete, bedient zu werden, studierte ich James’ Profil und fragte mich, was er wohl mit Pinkie Ritter und Alfie Toth zu tun gehabt hatte. Als Officer der Highway Patrol bliebe er von Ermittlungen des Sheriffbüros ausgeschlossen, aber er hätte ja seine Freundschaft mit den Hilfssheriffs nutzen können, um sich über den Mordfall zu informieren. Auf jeden Fall war er an dem Abend, als Tom starb, als erster am Ort des Geschehens gewesen, womit er die ideale Gelegenheit hatte, Toms Notizen verschwinden zu lassen. Ich spielte immer noch mit der Möglichkeit, daß er die Fußgängerin erfunden hatte, obwohl sein Motiv dafür im dunkeln lag. Colleen war es nicht gewesen. Sie hatte mir versichert, nie hier in der Gegend gewesen zu sein, eine Behauptung, die ich ihr abnahm. Tom hatte zuviel zu verlieren gehabt, um sich mit ihr sehen zu lassen. Außerdem — wenn sie mit ihm im Wagen gesessen wäre, hätte sie ihn nicht allein gelassen.
Die LaMotts kamen aus ihrer Nische und schlüpften in Vorbereitung aufs Gehen in ihre Wintermäntel. Vicky ging hinüber zum Tresen, um mit Barrett zu plaudern, während Rafer an die Kasse trat und bezahlte. Wie üblich erfüllte Nancy zwei Funktionen. Sie stellte ihre Kaffeekanne beiseite, um ihm seinen Zwanziger abzunehmen und ihm herauszugeben. James stand zur gleichen Zeit auf und ließ sein Geld neben seinem Teller auf dem Tresen liegen. Er wechselte ein paar Worte mit Rafer, und ich sah, wie dieser in meine Richtung blickte. James zog seine Jacke an und verließ das Restaurant, ohne noch einmal zurückzublicken. Vicky gesellte sich zu ihrem Mann, der ihr offenbar sagte, daß sie hinausgehen und im Auto auf ihn warten sollte. Sie nickte und machte sich dann an ihren Handschuhen und ihrer Strickmütze zu schaffen. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich ignorierte oder nicht.
Als sie hinausgegangen war, kam Rafer auf mich zugeschlendert. Er hatte die Hände in den Manteltaschen und trug einen roten Kaschmirschal um den Hals. Der Mantel war hervorragend geschnitten und der Stoff von einem dunklen Schokoladenbraun, das mit der Farbe von Rafers Teint harmonierte. Der Mann kleidete sich wirklich gut.
»Hallo, Detective LaMott«, sagte ich.
»Rafer«, verbesserte er. »Was macht die Hand?«
»Hängt noch dran.« Ich hielt meine Finger in die Höhe und wackelte mit ihnen, als täte mir das nicht weh.
»Darf ich mich setzen?«
Ich wies auf den Platz gegenüber, und er schlüpfte in die Nische. Er schien sich unbehaglich zu fühlen, doch sein Gesichtsausdruck war mitfühlend und seine haselnußbraunen Augen zeigten Besorgnis, nicht die Kälte oder Feindseligkeit, die ich schon fast erwartet hatte. »Ich habe mich mit einigen Leuten aus Santa Teresa lange über Sie unterhalten.«
Ich merkte, wie ich Herzklopfen
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