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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Haus lag, nahm ich nicht an, daß ich von vorüberfahrenden Autos aus gesehen werden konnte. Ich hatte einfach noch nicht genug Mumm, um gleich wieder in den Ort zu fahren. Mir widerstrebte die Vorstellung, allein herumzuspazieren und aufgrund haltloser Gerüchte die Zielscheibe für rüpelhaftes und abweisendes Benehmen zu sein. Die Besucher des Lokals hatten sich anständig verhalten, also waren es vielleicht auch nur die Tankwarte, die mir geschlossen das Mißtrauen ausgesprochen hatten.
    Ich sah Macon Newquist in einem Pickup von der Landstraße abbiegen und auf den Parkplatz fahren. Er trug einen Anzug, der an ihm so unnatürlich aussah wie ein Bunny-Kostüm. Mir war klar, daß er mich nach Informationen ausquetschen würde, wenn er mich sähe. Also verrenkte ich mich nach hinten und griff nach meiner Aktentasche, als wäre ich anderweitig beschäftigt. Neben meinen Aufzeichnungen über den Fall hatte ich auch die Karteikarten eingepackt. Ich wartete, bis Macon im Lokal verschwunden war, bevor ich aus dem Auto stieg und es abschloß. Mit der Aktentasche in der Hand marschierte ich am Straßenrand entlang zu Nota Lake Cabins.
    Das rote »Zimmer frei«-Leuchtschild brannte. Die Rezeption war unverschlossen, und am Türknauf hing eine flache Plastikuhr, deren Zeiger auf 11.30 Uhr wiesen. Darüber stand Gleich zurück. Ich ging hinein und auf die Halbtür zu, die zu dem unbesetzten Büro führte. »Cecilia? Sind Sie da?«
    Keine Antwort.
    Wie üblich reizte mich der Anblick all dieser verführerisch aussehenden Schreibtischschubladen. Die Adressenkartei und die Aktenschränke schrien förmlich danach, durchsucht zu werden, aber mir fiel beim besten Willen nicht ein, wozu das gut sein sollte. Ich setzte mich auf den gepolsterten Stuhl und machte ein Päckchen Karteikarten auf. Dann begann ich meine Aufzeichnungen durchzulesen und mit einem geborgten Kugelschreiber ein Detail nach dem anderen auf die Karteikarten zu übertragen. In mancher Hinsicht war es reine Fleißarbeit. Ich konnte mir produktiv und tüchtig Vorkommen und war zugleich vor den Augen der Öffentlichkeit geschützt. Meine Notizen zu übertragen hatte außerdem den Vorteil, daß es mich von dem Unbehagen ablenkte, das ich empfand. Während ich mich am Abend zuvor noch nach Hause gesehnt hatte, konnte ich mir nun nicht mehr vorstellen, den Schwanz einzuziehen und wegen Rafers versteckter »Empfehlung« in bezug auf meine persönliche Sicherheit davonzulaufen. Was machte ich also? Ich versuchte mich damit zu beruhigen, daß ich getan hatte, was ich konnte. Ich hatte mit mir selbst vereinbart, so lange Spuren zu verfolgen, bis ich nicht mehr weiterkam. Wenn ich auf unüberwindliche Barrieren stieß, konnte ich wenigstens reinen Gewissens nach Hause fahren. Doch bis dahin hatte ich einen Auftrag, und ich war fest entschlossen, ihn zu erfüllen. Ja, und wie, du Angsthase, dachte ich.
    Ich machte anderthalb Päckchen Karteikarten durch, ohne auf umwälzende Enthüllungen zu stoßen. Dann mischte ich sie zweimal, legte sie wie eine Patience aus und suchte Reihe für Reihe nach aufschlußreichen Einzelheiten ab. Ich hatte mir zum Beispiel notiert, daß Cecilia mir erzählt hatte, sie sei an dem Abend, als Tom starb, gegen zehn Uhr nach Hause gekommen. Sie hatte gesagt, sie hätte den Krankenwagen gesehen, aber keine Ahnung gehabt, daß er für ihren Bruder bestimmt gewesen war. Könnte sie die Frau gesehen haben, die die Straße entlanggegangen war? Mir fiel ein, daß die besagte Frau ja womöglich in Nota Lake Cabins gewohnt hatte. In diesem Fall hatte ihr Spaziergang womöglich nichts mit Tom zu tun gehabt. Auf jeden Fall war es sinnvoll, einmal nachzufragen, nur um diese Möglichkeit auszuschließen.

21

    Cecilia verspätete sich. Statt halb zwölf war es schon fast Viertel nach, als sie endlich zur Tür hereinkam. Sie hatte zum Kirchgang ein ausgebeultes blaues Tweedkostüm angezogen, an dessen Revers eine Anstecknadel mit mehreren Hummeln saß. Die weiße Bluse darunter war mit einem bauschigen Spitzenbesatz am Kragen versehen. Sie zeigte keinerlei Erstaunen, als sie mich sah, und in meinem Verfolgungswahn bildete ich mir gleich ein, daß sie von meiner Anwesenheit unterrichtet worden war. Sie öffnete die Halbtür zum Büro, schloß sie hinter sich, stellte ihre Handtasche auf den Schreibtisch und wandte sich zu mir um. »Also, was kann ich für Sie tun? Ich habe gehört, daß Sie bei Selma wohnen, also wollen Sie sich ja wohl nicht nach einer Hütte

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