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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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anderen rutschten wie bei schlechter Kameraführung. Mir war schwindlig, als stünde ich kurz davor, in Ohnmacht zu fallen. Ich setzte mich und streckte den Kopf zwischen die Knie. In meinen Ohren rauschte es.
    »Alles in Ordnung?«
    »Bestens.« Lichter schienen zu pulsieren, und Geräusche kamen und gingen. Ich konnte nicht mehr klar denken. Ich hörte, was er sagte, aber ich brachte die Wörter nicht zum Stillstehen. Ich sah Rafer mit der Schlinge. Ich sah, wie er sie um Pinkies Hals festzog. Ich sah, wie er Alfie in der Wildnis aufknüpfte. Ich spürte seine Wut und den Schmerz, den er über das empfand, was sie seiner einzigen Tochter angetan hatten. Ich sagte: »Woher wissen Sie das alles?«
    »Weil Barrett es mir damals erzählt hat. Herrgott, Kinsey! Deshalb habe ich mich ja von ihr getrennt. Ich war zwanzig Jahre alt. Ich konnte damit nicht umgehen«, sagte er gequält.
    »Tut mir leid. Tut mir leid«, sagte ich, vergaß aber auf der Stelle, wer mein Mitleid mehr verdient hatte — Barrett, weil sie vergewaltigt worden war, oder Brant, weil er nicht die nötige Reife besaß, um damit umzugehen.
    Brants Tonfall wurde vorwurfsvoll. »Sie sind ja völlig high. Ich fasse es nicht! Was zum Teufel haben Sie eingeworfen?«
    »Ich bin high?« Natürlich. Daniel am Klavier. Mein Exmann. So wunderschön. Augen wie ein Engel, ein Heiligenschein aus goldenen Locken und wie ich ihn geliebt habe. Er hat mir einmal ohne mein Wissen Acid gegeben, und ich sah den Fußboden in den Höllenschlund rutschen.
    Brant reckte den Kopf. »Was ist das?« zischte er.
    »Was?«
    »Ich habe etwas gehört.« Seine Anspannung übertrug sich auf mich. Seine Angst war ansteckend und so rasch wie ein Bazillus, der durch die Luft übertragen wird. Ich konnte Verderben und Tod riechen. In solchen Situationen war ich schon öfters gewesen.
    »Warten Sie mal.« Brant schlenderte den Flur hinab. Ich sah, wie er aus dem kleinen Zierfenster in der Haustür blickte. Abrupt wich er zurück und gestikulierte dann hektisch in meine Richtung. »Ein Auto ohne Licht ist gerade vorbeigefahren. Es hat etwa sechs Häuser weiter angehalten. Haben Sie eine Pistole?«
    »Ich habe Ihnen doch erzählt, daß sie gestohlen wurde. Von dem Einbrecher. Ich habe keine Pistole. Was ist denn los?«
    »Rafer«, sagte er grimmig. Er ging zu der Schublade im Küchentisch seiner Mutter hinüber, wo sie ihre Mahlzeiten vorbereitete. Dann nahm er eine Waffe heraus und drückte sie mir in die Hand. »Hier. Nehmen Sie die.«
    Ich stand da und starrte sie verwirrt an. »Danke«, flüsterte ich. Es war ein einfacher Polizeirevolver Marke Smith & Wesson. Ich hätte mir selbst fast einmal so einen ähnlichen gekauft, einen 357er Mag-num mit Fünf-Zoll-Lauf und einem Karomuster aus Walnußholz am Schaft. Ich musterte die Kerben im Schaft. Manche davon waren so tief, daß ich nicht bis auf ihren Grund sehen konnte.
    »Rafer wird mit entsicherter Waffe hier hereingestürmt kommen«, erklärte Brant. »Ohne Umschweife. Er hat überall herumerzählt, daß Sie eine Killerin sind und daß Sie Drogen nehmen, und jetzt sind Sie auch noch von irgendwas völlig zugedröhnt.«
    »Ich habe nichts genommen«, entgegnete ich mit trockenem Mund. Die Brownies. Ich war zugedröhnter, als er ahnte. Ich arbeitete mich in meinem Gedächtnis zurück, dachte an Kurse auf der Polizeischule und meine Jahre in Uniform auf der Straße und versuchte, mich an die Symptome zu erinnern. Phenzyklidine, Stimulanzen, Halluzinogene, Sedativa und Hypnotika, Narkotika. Was hatte ich zu mir genommen? Verwirrung, Paranoia, undeutliche Sprechweise, Augenzittern. Ich konnte die Spalten über die vollgeschriebenen Seiten wandern sehen. Drogenvokabular. Raketentreibstoff, K.-o.-Tropfen. Breitmacher, Super Joint, Angel Dust, Nervenpeitsche. Ich war völlig abgedreht von Speed.
    »Sie haben ihn durchschaut. Er wird Sie umbringen müssen. Wir müssen die Sache ausschießen«, sagte Brant.
    »Lassen Sie mich nicht allein. Reden Sie mit ihm. Ich kann abhauen«, sprudelte ich hervor.
    »Daran hat er schon gedacht. Er hat sich Unterstützung verschafft. Vermutlich Macon und Hatch. Die hassen Sie alle beide. Jetzt sollten wir uns lieber mal vorbereiten.«
    Als Brant seine Jacke abstreifte, roch ich den Streßschweiß, ein Geruch so scharf und durchdringend wie Ammoniak. Aus irgendeinem Grund sah ich auf seine Hände. Trotz meines Rauschzustands erkannte ich einen Fleck auf seinem linken Handgelenk, eine dunkle Stelle... eine

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