Kopf in der Schlinge
miteinander«, sagte er und kreuzte zwei Finger. »Ich bin ihm manchmal im Ort begegnet. Einmal hab’ ich mit ihm Billard gespielt, ein paar Biere gekippt. Letzten Herbst sind wir mit ein paar Leuten auf einen Angelausflug gefahren, aber wir sind nicht gerade nachts dagelegen und haben uns gegenseitig das Herz ausgeschüttet. Der Mann, mit dem Sie sprechen müssen, ist sein Partner Rafer.«
»Den hat Selma schon erwähnt. Wie heißt er denn mit Nachnamen?«
»LaMott.«
Ich saß in meinem Mietwagen auf dem Parkplatz vor Kirchner & Sons und blätterte Tom Newquists Autopsiebericht durch. Aus dem Totenschein gingen weitere Einzelheiten sowie die genaue Todesursache hervor. Alter, Geburtsdatum, Sozialversicherungsnummer und Anschrift; Ort und Ursache seines Todes und wie mit seinen sterblichen Überresten verfahren worden war. Er war bereits tot in der Notaufnahme des Nota County Hospital eingetroffen, die Autopsie wurde einen Tag später vorgenommen und noch einen Tag später wurde er beigesetzt. Auf dem Papier wirkte sein Gang ins Grab übereilt, aber wenn der Tod erst einmal eingetreten ist, ist der menschliche Körper im Grunde nur noch ein großes Stück Fleisch, das schnell schlecht wird. Die Einzelheiten hatten etwas Flaches und Abruptes an sich... Tom Newquist gestorben... sein Leben ordentlich verpackt; Anfang, Mitte und Ende. Unter dem Totenschein lag die Kopie einer handgeschriebenen Notiz, die offenbar von dem Officer der Highway Patrol verfaßt worden war, der Tom in seinem Wagen gefunden hatte.
Ca. 21.50 Uhr 2/3 Krankenwagenruf an Stelle 11,5 km außerhalb auf Highway 395. Pers. in Pickup, an Straßenrand geparkt. Beginn der Wiederbelebungsmaßnahmen @ 22.00 Uhr. Notarzt aus Nota Lake übernimmt @ ca. 22.15 Uhr. Pers. bei Eintreffen in Notaufnahme Nota Lake tot. Leichenbeschauer verständigt.
Die Notiz war mit »J. Tennyson« unterzeichnet. Nun folgte der Autopsiebericht: drei maschinengeschriebene Seiten, deren Inhalt dem entsprach, was Trey Kirchner mir erzählt hatte.
Ich hatte gehofft, die Erklärung möge eindeutig sein und besagen, daß sich Tom Newquist im Endstadium einer tödlichen Krankheit befunden hatte und seine Besorgnis ganz einfach von einer Todesahnung herrührte. Doch dies war nicht der Fall. Wenn Selmas Wahrnehmungen zutrafen und er über irgend etwas nachgrübelte, so jedenfalls nicht über eine unmittelbare Bedrohung seiner Gesundheit. Es war zwar trotzdem möglich, daß er unter Herzbeschwerden gelitten hatte — Anginaschmerzen, Rhythmusstörungen oder Atemnot bei Anstrengung. Wenn ja, so hatte er womöglich die Schwere seiner Symptome gegen die Konsequenzen eines Arztbesuchs abgewogen. Tom Newquist hatte vielleicht schon genug vom Tod gesehen, um den Prozeß philosophisch zu betrachten. Vielleicht hatte er größere Angst vor medizinischen Maßnahmen als vor seinem möglichen Tod.
Ich legte den Aktendeckel auf den Beifahrersitz und ließ den Motor an. Ich wußte nicht genau, wo ich weiterforschen sollte, hielt es aber für folgerichtig, als nächsten Schritt Toms Partner Rafer LaMott aufzusuchen. Ich sah auf meinen Plan von Nota Lake und fand die Außenstelle des Sheriffbüros, die im Gemeindezentrum auf der Benoit Street etwa sechs Häuserblocks weiter westlich untergebracht war. Die Sonne war durch eine dünne Wolkenschicht gedrungen. Die Luft war kühl, doch das Licht hatte etwas sehr Angenehmes. Die Häuser an der Hauptdurchgangsstraße bestanden aus Stein und Holz und hatten Dächer aus Wellblech: Tankstellen, ein Drugstore, ein Sportgeschäft und ein Friseursalon. Die unberührte Schönheit der fernen Berge zog sich wie ein Ring um die Stadt. Das digitale Thermometer einer Werbetafel zeigte eine Temperatur von sechs Grad an.
Ich parkte gegenüber dem Gemeindezentrum von Nota Lake, das außerdem das Polizeirevier, das Landgericht und verschiedene Ämter beherbergte. Der Komplex mit den Verwaltungsbüros war in einem Gebäude untergebracht, das früher eine Schule gewesen war. Dies wußte ich, weil die Worte »Nota Lake Grundschule« in Blockbuchstaben in den Architrav gemeißelt waren. Ich hätte schwören können, daß ich noch den schwachen Abdruck von Hexen und Kürbissen aus Transparentpapier erkannte, die einst mit Klebeband an den Fenstern gehangen hatten — die Geister vergangener Halloween-Feiern. Ich für meinen Teil haßte Grundschulen, da ich seinerzeit mit einer seltsamen Kombination aus Schüchternheit und Aufsässigkeit geschlagen war. Die Schule war
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