Kopf in der Schlinge
davon, als er in den ersten Gang schaltete. Ich konnte ihm nur noch nachstarren. Zu spät merkte ich, wie mir eine brennende Flitze ins Gesicht stieg. Ich hob eine Hand an die Wange, als hätte man mich geohrfeigt.
5
Ich stieg in meinen Wagen und fuhr zu Selma zurück, nach wie vor völlig ahnungslos. Ich konnte nicht sagen, ob Rafer etwas wußte oder ob er nur verärgert darüber war, daß Selma eine Privatdetektivin engagiert hatte. Seltsamerweise fand ich seine Schroffheit eher anregend als entmutigend. Tom war ohne große Vorwarnung gestorben, draußen auf der Landstraße, ohne noch die Möglichkeit zu haben, seine Angelegenheiten zu ordnen. Fürs erste ging ich davon aus, daß Selmas Vermutung zutraf.
Ich ließ mein Auto vor dem Haus stehen und ging über den Rasen zur Veranda. Selma hatte einen Zettel an die Tür geklebt, auf dem stand, daß sie bis Mittag drüben in der Kirche sei. Ich versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war unverschlossen, und so brauchte ich den Schlüssel gar nicht, den sie mir am Abend zuvor gegeben hatte. Ich ging hinein und rief »Hallo« für den Fall, daß Brant im Haus war. Niemand erwiderte mein Rufen, obwohl drinnen einige Lichter brannten. Ich nahm mir ein paar Minuten Zeit, um durch die leeren Räume zu gehen. Das Haus hatte nur ein Stockwerk, und die Wohnräume erstreckten sich über das ganze Erdgeschoß. Neben der Küche entdeckte ich eine Treppe, die in den Keller führte.
Ich machte Licht und stieg bis zur Hälfte hinunter. Dann spähte ich über das Geländer. Ich sah Werkzeug zur Holzbearbeitung, eine Waschmaschine und einen Trockner, eine Heißwasserheizung sowie verschiedene Möbelstücke und Hausgeräte, darunter einen tragbaren Grill und Gartenstühle. Eine halboffene Tür an der Wand gegenüber führte zum Heizungskeller. Es schien viel Lagerraum zu geben. Ich würde mich später genauer umsehen und die Pappkartons und Einbauschränke durchsuchen.
Ich kehrte in Toms Büro zurück und setzte mich an seinen Schreibtisch, während ich mich fragte, was für Geheimnisse er verborgen haben mochte. Das, wonach ich suchte — falls überhaupt etwas zu finden war — , mußte nicht unbedingt mit Toms Arbeit zu tun haben. Es hätte alles mögliche sein können: Alkohol, Drogen, Pornographie, Glücksspiele, eine Affäre, ein Hang zu kleinen Jungen, eine Schwäche für Frauenkleider. Die meisten von uns haben etwas, das sie lieber für sich behalten möchten. Aber vielleicht war es auch nichts. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber Rafers Einstellung gegenüber Selma übte bereits ihre Wirkung auf mich aus. Ich hatte mich seiner Sichtweise innerlich widersetzt, aber langsam regten sich leise Zweifel.
Ich stand von Toms Schreibtisch auf und fühlte mich ruhelos und gelangweilt. Bis jetzt hatte ich nicht einen einzigen bedeutsamen Zettel gefunden. Vielleicht war Selma verrückt, und ich verschwendete meine Zeit. Ich ging in die Küche hinaus und schenkte mir ein Glas Wasser ein. Dann öffnete ich den Kühlschrank und starrte seinen Inhalt an, während ich so tat, als stillte ich meinen Durst. Ich machte den Kühlschrank wieder zu und schaute in die Speisekammer. Alles, was Selma eingekauft hatte, sah bedrohlich aus: künstliche Produkte ä la Miracle Whip. Auf der Arbeitsfläche stand ein Teller mit etwas, das wie Rosinen-Hafermehl-Plätzchen aussah. Obendrauf lag ein Zettel, auf dem stand: »Bitte zugreifen«. Ich aß ein paar Plätzchen, stellte das Glas aufs Abtropfbrett und spazierte in den Flur. Das Telefon schien alle fünfzehn Minuten zu klingeln, aber ich ließ den Anrufbeantworter übernehmen. Selma war sehr gefragt, doch es ging ausschließlich um wohltätige Zwecke — den Kirchen-Flohmarkt und eine Spendenaktion für den neuen Anbau der Sonntagsschule.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Schlafzimmer zu. Toms Kleider hingen nach wie vor in seiner Hälfte des Schranks. Ich begann seine Taschen zu durchsuchen. Ich sah auf dem oberen Schrankbrett nach, in seinen Schuhschachteln und seiner Kleingeldbüchse. Ich fand einen geladenen Colt 357er Magnum in einer Nachttischschublade, aber sonst nichts von Belang. Der restliche Inhalt der Schublade setzte sich aus der peinlichen Ansammlung von Plunder zusammen, den anscheinend jeder irgendwo aufbewahrt: alte Eintrittskarten, Streichholzbriefchen, abgelaufene Kreditkarten, Schnürsenkel. Keine schlüpfrigen Heftchen und keine Sexutensilien. Ich sah unters Bett, fuhr mit einer Hand die Matratze entlang, spähte hinter
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