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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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den Kopf. Dann vergewisserte er sich, daß die Fenster fest geschlossen waren. Während ich in der Hütte wartete, machte er einen Rundgang außen herum und leuchtete mit seiner Taschenlampe in die Finsternis. Dann kam er wieder an die Tür. »Scheint mir alles in Ordnung zu sein.«
    »Hoffen wir’s.«
    Er ließ seinen Blick auf meinem Gesicht ruhen. »Ich kann Sie auch woanders hinbringen, wenn Ihnen das lieber ist. Wir haben Motels mitten im Ort, wo Sie sich vielleicht sicherer fühlen würden. Wärmer hätten Sie es dort auch.«
    Ich dachte kurz darüber nach. Ich war aufgedreht und erschöpft zugleich. Um diese Uhrzeit umzuziehen wäre absolut nervig. »Ist schon gut«, erwiderte ich. »Ich habe den Lieferwagen auf dem Weg hierher nicht gesehen. Vielleicht war es nur ein dummer Scherz.«
    »Darauf würde ich mich nicht verlassen. Die Welt ist voller Spinner. Nehmen Sie so etwas nicht auf die leichte Schulter. Vielleicht sprechen Sie ja morgen mit der Polizei und lassen einen Bericht aufnehmen. Kann nichts schaden, sich abzusichern, für den Fall, daß noch etwas passiert.«
    »Gute Idee. Das mache ich.«
    »Haben Sie eine Taschenlampe? Nehmen Sie doch über Nacht meine und bringen Sie sie mir morgen früh wieder. Ich habe noch eine zweite im Wagen. Sie fühlen sich besser, wenn Sie eine Waffe haben.«
    Ich nahm die Taschenlampe und wog ihr beträchtliches Gewicht in der Hand. Man konnte jemanden ernsthaft verletzen, wenn man ihn damit seitlich auf den Kopf schlug. Ich hatte schon Schädel mit klaffenden Wunden gesehen, wenn die Kante genau richtig getroffen hatte. Am liebsten hätte ich ihn noch um seinen Gummiknüppel und sein Funkgerät gebeten, aber ich wollte ihn nicht seiner gesamten Ausrüstung berauben.
    Ich hielt die Taschenlampe in die Höhe. »Danke. Ich bringe sie Ihnen gleich morgen früh zurück.«
    »Das eilt nicht.«
    Als er gegangen war, sperrte ich die Tür ab und durchsuchte die Hütte noch einmal sorgfältig, indem ich das gleiche tat wie er zuvor. Ich vergewisserte mich, daß die Fenster geschlossen waren, spähte unter jedes Möbelstück, in Schränke und hinter Vorhänge. Ich machte das Licht aus und wartete, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann ging ich von Fenster zu Fenster und musterte die Umgebung. Draußen herrschte keine vollkommene Schwärze. Irgendwo da oben stand ein Mond, der die umliegenden Wälder in einen silbrigen Schimmer tauchte. Die Stämme der Birken und Platanen leuchteten blaß wie Eis. Die Nadelbäume standen dicht, unförmig und bedrohlich vor der nächtlichen Landschaft. Ich hätte in ein anderes Motel gehen sollen. Ich ärgerte mich über meine isolierte Lage und wünschte, ich wäre sicher in einem Hotel der großen Ketten untergebracht — einem Hyatt oder einem Marriott, einem Haus mit Hunderten identischer Zimmer und zahlreichen stets präsenten Sicherheitsleuten. In meiner momentanen Lage hatte ich weder ein Telefon noch unmittelbare Nachbarn. Der Mietwagen stand mindestens hundert Meter weit weg und war nicht sofort verfügbar, falls ich überstürzt verschwinden müßte.
    Ich lehnte die Stirn gegen das Fensterglas. Von der Landstraße her sah ich ab und zu einen Lichtstrahl, wenn gelegentlich ein Auto vorbeiflitzte, aber keines wurde langsamer, und keines bog auf den Parkplatz des Motels ein. In solchen Augenblicken sehnte ich mich nach einem Ehemann oder einem Hund, aber ich konnte mich nie entscheiden, was von beidem langfristig gesehen mehr Ärger machen würde. Männer bellen wenigstens nicht und sind von Anfang an stubenrein.
    Ich behielt alle meine Kleider an und putzte mir im Dunkeln die Zähne. Als ich mein Gesicht wusch, ließ ich das Wasser nur ganz schwach laufen. Immer wieder hielt ich inne und lauschte in die Finsternis. Ich zog die Schuhe aus, stellte sie aber griffbereit neben das Bett. Dann kroch ich unter die Decken und lehnte mich mit der Taschenlampe in der Hand gegen die Kissen. Zweimal stand ich wieder auf und sah aus den Fenstern, aber es war nichts zu sehen, und schließlich kam ich etwas zur Ruhe.
    Ich schlief nicht besonders gut, doch als der Morgen dämmerte, war mir wohler. Ganze drei Minuten heißes Wasser waren mir vergönnt, bevor die Rohre zu rattern anfingen. Ich ging zur Landstraße hinaus und trat in einen Morgen aus eisigem Sonnenlicht und glasklarer Luft. Ich konnte Lehm und Kiefernnadeln riechen. Der Lieferwagen war nirgends zu sehen, niemand in einer Kapuzenmütze blieb stehen, um mich anzustarren.

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