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Kopf in der Schlinge

Kopf in der Schlinge

Titel: Kopf in der Schlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Briefbeschwerer und hielt einen Stapel loser Notizen fest. »Warten Sie einen Moment, dann hole ich die Akte«, sagte er. »Setzen Sie sich doch.«
    Auf dem Stuhl stapelten sich medizinische Zeitschriften, und so hockte ich mich auf die Kante, dankbar, daß Dr. Yee mir sein Vertrauen schenkte. Dr. Yee ging nie leichtsinnig mit Daten um, aber so paranoid wie die Polizei war er auch nicht. Er kehrte mit einem Aktendeckel und einem großen Umschlag zurück, setzte sich auf den Drehstuhl und warf beides neben mir auf den Schreibtisch.
    »Sind das die Fotos? Darf ich sie sehen?«
    »Sicher, aber die werden Ihnen nicht viel sagen.« Er griff nach dem Umschlag und zog mehrere Farbfotos im Format 18 mal 24 heraus, die verschiedene Ansichten der Stelle zeigten, wo Alfie Toth gefunden worden war. Das Gelände war ziemlich wild: Felsen, Gestrüpp und eine uralte Eiche. »Toth wurde anhand der Überreste seines Skeletts und in erster Linie durch sein Zahnschema identifiziert. Percy Ritters Leiche in Nota Lake wurde unter ganz ähnlichen Umständen gefunden; der gleiche Tathergang und ein ähnlich abgelegener Ort. In beiden Fällen hat es eine Weile gedauert, bis jemand auf die Leiche gestoßen ist.«
    Ich schwieg und starrte verblüfft auf eine Nahaufnahme, ohne genau zu wissen, was ich da vor mir sah; vermutlich die untere Hälfte von Alfie Toths Körper, verkrümmt auf der Erde. Die Beckenknochen schienen noch aneinanderzuhängen, aber Oberschenkelknochen, Schien- und Wadenbeine lagen in einem wirren Haufen da wie ausgebleichtes Brennholz. Die willkürliche Anordnung des Skeletts sah aus wie eine Halloween-Dekoration, die dringend sortiert gehörte.
    Dr. Yee fuhr fort: »Ritters mumifizierte Leiche wurde vollständig bekleidet und mit verschiedenen persönlichen Gegenständen in den Taschen gefunden: ein abgelaufener kalifornischer Führerschein, Kreditkarten. Die Identifizierung verlief anhand seiner Fingerabdrücke, die rekonstruiert werden mußte n. Da draußen muß es trocken gewesen sein, denn Bakterienwachstum und Verwesung kommen zum Stillstand, wenn die Körperflüssigkeit auf unter fünfzig Prozent sinkt. Ritters Fleisch war so steif wie Leder, aber Kirchner ist es gelungen, alles außer Daumen und Ringfinger der rechten Hand wiederherzustellen. Ritters Fingerabdrücke waren schon seit 1972 gespeichert. Eine absolut miese Ratte. Richtiger Abschaum.«
    »Ich wußte gar nicht, daß man Fingerabdrücke auf diese Art rekonstruieren kann.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Manchmal muß man erst die Finger abtrennen. Um sie wieder zu hydratisieren, kann man sie ein oder zwei Tage in dreiprozentige Lauge oder einprozentige Lösung aus Photo-Flo 200 von Eastman Kodak legen. Eine andere Methode ist, immer schwächere Alkohollösungen zu verwenden, indem man mit einer neunzigprozentigen anfängt und dann langsam runtergeht. Bei Ritter hat man zuerst auf Selbstmord getippt, obwohl Kirchner sagte, er habe große Zweifel und der Sheriff auch. Bedenken Sie, vor Ort wurde kein Abschiedsbrief gefunden, andererseits gab es aber auch keine Kampfspuren in der Umgebung und keine Verletzungsmerkmale an der Leiche. Kein gebrochenes Zungenbein, das auf eine Hirnquetschung schließen ließe, kein Hinweis auf Stichwunden, Schädelbrüche, Einschüsse...«
    »Anders ausgedrückt, keine Anzeichen für ein Verbrechen.«
    »Genau. Was aber nicht heißen muß, daß er nicht doch irgendwie überwältigt wurde. Genau wie bei Toth, außer daß bei dem keine persönlichen Gegenstände gefunden wurden. Das Sheriffbüro hat Vermißtenanzeigen aus den vergangenen Monaten überprüft und mit Verwandten gesprochen. So haben sie auch die erste Übereinstimmung entdeckt.«
    »Und was haben wir hier vor uns?« fragte ich und drehte das Foto so, daß er es auch betrachten konnte.
    »Allem Anschein nach haben beide Männer einen Strick um einen Felsbrocken gebunden, sich eine Schlinge um den Hals gelegt, den Stein durch die Gabelung zweier Äste eines Baumes geschoben und sich stranguliert. Die Ähnlichkeiten kamen erst später ans Licht.«
    Ich starrte ihn an. »Das ist aber seltsam.« Ich blickte auf ein Foto herab, auf dem ich nun einen in Schlangenlinien verlaufenden Strick ausmachen konnte, der sich um einen Felsbrocken vom Ausmaß einer großen Wassermelone wand. Toth’ Rumpf und Beine hatten sich gelöst und waren in einem Haufen auf eine Seite des Baumes gefallen, während die obere Hälfte seines Körpers, nach wie vor vom Gewicht des Steins gezogen,

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