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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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in einem quadratischen Konferenzraum statt. Auf dem Podium stand ein Tisch mit vier Namensschildern und zwei Mikrofonen.
    Â»Da ist Ihr Platz«, sagte Birte und zeigte auf den Stuhl hinter seinem Namensschild. Henry hängte sein Jackett über die Lehne. Auf dem zweiten Schild stand Dr. Kammstetter , auf dem dritten und dem vierten jeweils ein koreanischer Name.
    Birte sagte: »Sie entschuldigen mich bitte. Ich muss mich um die Gäste kümmern.« Auf dem Weg zur Tür drehte sie sich noch einmal um und winkte Henry zu.
    Henry beschloss, noch einmal die Passagen seines Buches durchzugehen, die er vortragen wollte, war aber nicht konzentriert, sondern sah stattdessen immer wieder zur Tür, durch die mehr und mehr Zuhörer strömten, Koreaner hauptsächlich, ein paar Europäer. Als Birte das nächste Mal den Raum betrat, trug sie ein Tablett mit Getränken. Sie hatte die Sachen gewechselt, war jetzt angezogen wie eine Servierkraft, schwarzer knielanger Rock, schwarze Feinstrumpfhose, weiße hoch geschlossene Bluse.
    Sie kam herüber zum Podium und stellte ein Glas Weißwein vor ihm ab.
    Â»Danke«, sagte Henry.
    Â»Nach der Lesung wird es ein italienisches Büfett geben, vorne im Foyer.« Birte mischte sich wieder unters Publikum und verteilte Getränke.
    Als ein Endvierziger zur Tür hereinkam, groß gewachsen, weißhaarig und von dunklem Teint, wusste Henry sofort, dass es sich um den Institutsleiter handelte. Seine Bewegungen waren langsamer als die aller anderen und gleichzeitig ausdrucksstärker, fast theatralisch. Dr. Kammstetter agierte, als stehe er auf einer Bühne. Er unterstrich seine Worte mit Gesten und die Gesten mit seiner Mimik. Er trug eine schmale Hornbrille und einen beigefarbenen Anzug, den er mit einem elfenbeinfarbenen und – das irritierte Henry am meisten – kragenlosen Seidenhemd orientalischen Ursprungs kombiniert hatte. An seiner Seite ging eine schlanke blonde Frau im dezenten Cocktailkleid, die Henry auf Ende dreißig, Anfang vierzig schätzte. Hinter ihm lief ein Koreaner, ebenfalls in hellem Anzug.
    Dr. Kammstetters Begrüßung war so pathetisch wie sein Auftreten. Er sprach erlesene Worte, verpackt in die Syntax des neunzehnten Jahrhunderts, er artikulierte seine Worte überkorrekt wie ein Logopäde, und er redete eine Nuance zu laut.
    Henry, der im Moment überfordert war, stammelte ein paar höfliche Floskeln, auf die Dr. Kammstetter mit einer weitschweifigen Entschuldigung reagierte. Wie leid es ihm tue, dass nur der Fahrer am Flughafen gewesen sei und nicht Frau Zimmermann, die normalerweise die auswärtigen Gäste betreue, aber wegen ihres – nach einem Unfall – im Krankenhaus liegenden Vaters kurzfristig nach Deutschland habe fliegen müssen. Er versprach, dass er Henry ersatzhalber Frau Aschenbach zur Seite stellen werde und sie dafür von allen anderen Aufgaben entbinde.
    Henry bedankte sich.
    Die blonde Frau stellte sich als Kammstetters Gattin vor, der Koreaner im Anzug als Schauspieler, der die koreanische Fassung von Henrys Textpassagen vortragen werde.
    Dann zog Dr. Kammstetter eine goldene Taschenuhr aus der Hose, ließ den Deckel aufspringen und sagte, dass es Zeit sei anzufangen. Dr. Kammstetter, Henry, der Schauspieler und eine Dolmetscherin nahmen auf dem Podium Platz.
    Während er vorlas, verlor Henry ein paarmal die Kontrolle über seine Zunge, Zischlaute verunglückten ihm, er verhaspelte sich in Passagen, die er eigentlich auswendig konnte. Als er einen Satz erst im dritten Anlauf korrekt herausbrachte, sah er beim zufälligen Blick ins Publikum, wie sich das Gesicht von Dr. Kammstetters Gattin, die in der ersten Reihe des voll besetzten Raumes saß, so schmerzerfüllt verzog, als hätte sie eine Migräneattacke. Henry merkte, dass er rot wurde, und ihm trat der Schweiß auf die Stirn. Sein Mund war trocken, jeder Schluck Wasser verstärkte diese Trockenheit und reizte den Husten, der ihm in der Kehle saß.
    Während des Schauspielervortrags dagegen schlief Henry beinahe ein, die anschließende Diskussion riss zum Glück Dr. Kammstetter an sich, der an Henrys Stelle die Fragen zur deutschen Gegenwartspolitik, zur Ost-West-Problematik und zur Nachkriegsgeschichte beantwortete, weitschweifig und umfassend.
    Nach anderthalb Stunden war Schluss, und Dr. Kammstetter erklärte das italienische Büfett für eröffnet. Henry schnappte sich ein

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