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Kopf Unter Wasser

Kopf Unter Wasser

Titel: Kopf Unter Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Kubiczek
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Wochenende fuhr sie mit ihrem kleinen Fiat, einem Geschenk des Vaters zum Abitur, in den Vorort, wo sie manchmal Cynthia traf, die ebenfalls regelmäßig ihre Eltern besuchte. (Was Cynthias Eltern von Beruf waren, hatte Birte nie erzählt, aber es musste etwas sein, das ausreichend Geld abwarf.) Nach zwei Jahren Studium brachte Cynthia Peter mit nach Hause, den sie im Juridicum kennengelernt hatte, und stellte ihn als ihren festen Freund vor. Peter war drei Jahre älter als Cynthia und stammte aus einer Villengegend im Siebengebirge, südöstlich der ehemaligen Bundeshauptstadt. Sein Vater besaß eine Anwaltskanzlei, seine Mutter eine Apotheke, und genau wie Cynthia war er mittelblond, hochgewachsen und genau wie sie von einer körperlichen Stämmigkeit, die etwas Bäuerliches ausstrahlte. Neben den beiden wirkte Birte wie ein pubertierendes Mädchen, obwohl sie selbst recht groß war, sogar muskulös. Letzteres vor allem aufgrund des Taekwondo-Trainings, das sie in Seoul begonnen hatte, um mehr Gefühl für ihren Körper zu gewinnen, wie sie dem überraschten Henry eines Tages in einer E-Mail mitteilte.
    Er las diese E-Mail am heimischen Schreibtisch, Ende Juli. Bettina war aus London zurückgekehrt, jedoch nur drei Tage in Berlin geblieben, bevor sie mit dem Kombi ins Badische weitergefahren war, um die Installation für den Kunstverein aufzubauen.
    Drei Tage, in denen ihre Koffer und Taschen unausgepackt im Flur herumstanden, in denen sie Unruhe in der Wohnung verbreitete, wenn sie überhaupt da war, in denen sie, das Telefon in der Hand, laut redend durch die Zimmer lief und versuchte, Material und Sponsoren aufzutreiben. War sie hungrig, holte sie sich etwas vom vietnamesischen Imbiss, obwohl Henry zumindest am ersten Tag noch angekündigt hatte zu kochen. Doch Bettina war nicht zum Essen erschienen, sondern im Atelier geblieben, um über die Ausstellung nachzudenken. Henry trank die Flasche Wein zum Essen allein aus, öffnete sich eine zweite, trank auch die und legte sich dann ins Bett. Als er am nächsten Morgen erwachte, war Bettina schon wieder gegangen. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel, auf dem sie sich für ihre Abwesenheit am Vorabend entschuldigte und ihm mitteilte, dass es auch heute spät werden würde.
    Henry saß an seinem Schreibtisch, als Bettina gegen sieben zurückkam und forsch an seine Zimmertür klopfte.
    Â»Ich habe mich extra beeilt«, sagte sie strahlend. »Gibt’s nichts zu essen?«
    Â»Auf dem Zettel stand, du hättest keine Zeit«, sagte Henry.
    Â»Schade«, sagte Bettina und blieb lächelnd im Türrahmen stehen.
    Â»Brot und Käse sind da, Salami und Schinken auch«, sagte Henry und stand auf, »ich kann uns ein paar Brote schmieren und einen Salat dazu machen.«
    Bettina überlegte kurz, dann sagte sie: »Das ist nett, aber lass mal gut sein. – Dann fahr ich eben noch mal ins Atelier und hole mir unterwegs ein paar Frühlingsrollen.«
    Zwar war Henry im Grunde froh, nicht im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit zu stehen, gleichzeitig aber war er auch beleidigt über diese Art der Missachtung. Schon die Begrüßung am Flughafen war fast geschäftsmäßig gewesen, freundlich, aber vor allem routiniert. Man konnte Bettina ansehen, dass all ihre Gedanken um die Ausstellung kreisten. Diese Begrüßung war ungefähr das Gegenteil des Abschieds zwei Monate vorher am Flughafen in Korea, bei dem Birte Henry nahezu leidenschaftlich ihre Traurigkeit dargeboten hatte. Wenigstens konnte er Bettinas Verhalten als nachträgliche Rechtfertigung für das benutzen, was er mit Birte angefangen hatte.
    Der Zustand permanenter Erschöpfung, in dem er sich fast die ganze Zeit befunden hatte, mochte der wahre Grund für seinen Kontrollverlust gewesen sein, ein Jetlag über acht Tage, der Zwang, wach bleiben zu müssen, wenn den Körper nach Schlaf verlangte, und nachts nicht einschlafen zu können, wegen des grünen Tees, wegen des Kaffees, der Kopfschmerztabletten und der Aufputschmittel aus den koreanischen Apotheken. Hinzu kam das arktische Bier der Minibar, das Henry quer auf dem Bett liegend trank, wann immer er auf dem Zimmer war, während im Fernsehen der Nachrichtenschrott von CNN lief. Auch das heiße Wetter und die trockene staubige Stadt trugen ihren Teil dazu bei, dass Henry ein wenig neben der Spur lief, ganz zu schweigen von den täglichen

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