Kopf Unter Wasser
die Lehre sie an ihrer eigenen künstlerischen Arbeit hindern werde. Er selber habe Freunde an der Universität, die sich den lieben langen Tag mit Formularen und Anträgen herumschlügen.
Bettina sagte, sie wolle eine Nacht darüber schlafen.
Henrys Anti-Hamburg-Tirade musste ihr den Eindruck vermittelt haben, er wolle sie bei sich behalten, in Berlin, und dass er das Geld nur vorschiebe, eigentlich aber ihre Trennung zu verhindern suche. Dass es ihm, auch wenn er nicht in der Lage war, es so direkt auszudrücken, also im Grunde um den Erhalt ihre Beziehung gehe, dachte Henry.
Am nächsten Abend verkündete sie ihre Entscheidung: Sie werde die Stelle antreten, und zwar zum Wintersemester, das in anderthalb Monaten begann.
»Klar, das ist nicht viel Geld«, sagte Bettina, »aber du darfst nicht vergessen: In der Zeit vor den Stipendien hatte ich weniger.«
»Als du nebenbei gekellnert hast?«
»AuÃerdem könnte es sein, dass im nächsten Jahr aus der halben Stelle eine ganze wird. Ich habe mit dem Professor telefoniert.«
»Dann kannst du ja gleich nach Hamburg ziehen.«
»Ich werde auch mit der halben Stelle nicht jede Woche nach Berlin kommen. Du hast es selber vorgerechnet. Das wird zu teuer.«
»Denk aber bloà nicht, dass ich nach Hamburg komme«, sagte Henry.
»Das erwarte ich gar nicht«, sagte Bettina und dann in einem anderen Ton: »Wir kriegen das schon hin.«
Im folgenden Monat vermietete sie ihr Atelier unter und fand ein billiges WG-Zimmer in Hamburg, Henry bot an, ihren Mietanteil für die Berliner Wohnung zu übernehmen. Dann wurde es Herbst, und Bettina war weg.
Henry kam es vor, als trete der Normalzustand wieder ein. Er hatte sich in den vergangenen drei Jahren ans Alleinleben gewöhnt und genoss es nun regelrecht, nicht jeden Abend kochen und den aufmerksamen Partner spielen zu müssen.
Verspürte er Lust auf Gesellschaft, verabredete er sich wieder mit seinen Freunden. Er lieà sich einladen in weitläufige Altbauwohnungen, in denen wenige, aber ausgesuchte Möbel standen, in denen es meterweise Bücherregale gab und wenige, aber originale Arbeiten noch unbekannter Künstler an den weiÃen Wänden hingen.
Man traf sich im kleinen Kreis, dieselben Leute, die auf den Studentenpartys der Neunzigerjahre zusammen gefeiert hatten. Mittlerweile waren die meisten Mitte dreiÃig, einige gingen auf die vierzig zu. Man unterhielt sich über Politik, über Literatur, über Kunst und neuerdings über Kinder und Geld. Man saà an langen, eingedeckten Tafeln, zweierlei Weingläser vor sich, zweierlei Gabeln, Stoffservietten in Ringen aus Silber. Die Männer standen in der Küche, denn sie kochten besser als ihre Frauen, und es machte ihnen SpaÃ, es war für sie ein Ausgleich zu dem, was sie tagsüber taten, um Geld zu verdienen.
Es gab Rucola, Parmesan, dazu alten Balsamico, tropfenweise, und die erste Pressung sizilianischen Olivenöls. Es gab Lammrücken mit Kräutern, Polenta und Kirschtomaten. Die Frauen bereiteten den Nachtisch zu, der Wein kam vom Händler an der Ecke statt aus dem Supermarkt wie früher. Geraucht wurde, wenn überhaupt noch, auf dem Balkon.
Henrys Freunde arbeiteten als Architekten und Ãrzte, als Assistenten an der Universität, als Journalisten wie er oder Künstler. Die eine Hälfte war angestellt, die andere nicht. Denjenigen, die arbeitslos waren, merkte man es an. Sie sahen mutlos aus, und das Lamento der Besiegten unterwanderte ihre Sätze, egal, zu welchem Thema sie sich äuÃerten. Und das ging den anderen auf die Nerven, weil es ihnen Angst machte.
Die, die arbeitslos waren, blieben irgendwann weg, obwohl sie weiterhin eingeladen wurden. Man traf sie stattdessen unter vier Augen, in Kneipen, deren Lärm ihren Vergeblichkeitssermon ein wenig dämpfte, und man bezahlte am Ende das Bier.
Ungefähr einmal in der Woche erhielt er eine E-Mail von Birte aus Korea. Meist ging es ums Taekwondo-Training oder um Sachen, die ihr während der Arbeit am Institut passiert waren. Anfangs hatte in ihren Zeilen noch eine gewisse Leidenschaft mitgeschwungen, ein Subtext, der Henry unangenehm war, weshalb er ihn in seinen kurzen Antworten auch konsequent ignorierte. Das hatte nichts mit Birte zu tun, es ging um das Medium, das Henry unpassend fand. Leidenschaftliche Briefe setzten Papier voraus und Tinte, lange Wege und Zeit, die zu
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