Kopf Unter Wasser
vergehen hatte zwischen Sendung und Empfang. Es gab nichts Grauenhafteres als Flüchtigkeitsfehler in elektronischen Liebesbriefen.
Als sie ihn um seine Telefonnummer bat, überlegte er kurz, ihr von Bettina zu erzählen. Er unterlieà es und teilte ihr stattdessen seine Handynummer mit, in die er einen Zifferndreher einbaute. Sollte sie nachfragen, warum er nicht erreichbar sei, könnte er es als Versehen deklarieren. Es war eine kleinere Lüge, als ihr eine völlig falsche Nummer zu geben. Birte bedankte sich in der nächsten E-Mail, erwähnte aber nicht, dass die Nummer nicht funktionierte.
Im November rief Henrys Verleger an und erkundigte sich, ob er Interesse an einem neuen Projekt habe. Sie verabredeten sich zum Abendessen in jenem italienischen Restaurant, in das Henry Bettina damals am Tag des offenen Ateliers geführt hatte.
Alle im Verlag seien mehr als zufrieden mit dem Erfolg seines Buches, lobte der Verleger. Die Verkaufszahlen hätten die Prognosen um ein Weites übertroffen, und von der Taschenbuchausgabe, die im Frühjahr erscheine, erwarte man mindestens noch mal so viele verkaufte Einheiten. Er sei deshalb von der kaufmännischen Geschäftsleitung autorisiert worden, Henry ein neues Angebot zu machen, mit einem dreimal so hohen Vorschuss im Vergleich zum letzten Buch.
Henry sagte, dass er etwas Bedenkzeit brauche, worauf der Verleger erwiderte, dass er diesmal bei der Themenwahl völlig freie Hand habe. Natürlich sehe man es im Verlag gern, wenn das neue Buch ein wenig in der Art des alten daherkäme. Warum auch solle man ein erfolgreiches Konzept grundlos über Bord werfen. Aber das sei nur als bescheidener Wunsch zu verstehen, mehr nicht.
Henry sagte, er brauche dennoch Bedenkzeit.
Der Vorschuss, sagte der Verleger und erhob das Glas, der Vorschuss sei eventuell noch verhandelbar. Und zwar nach oben.
»Geben Sie mir zwei Wochen«, sagte Henry.
»Die sollen Sie haben«, sagte der Verleger. Dann stieÃen sie mit fünfzehn Jahre altem Grappa an.
Drei Wochen nach diesem Treffen â Henry hatte weder sein Versprechen gehalten, sich zu melden, noch sich Gedanken über ein mögliches Thema gemacht â rief der Verleger an, um seine Entscheidung zu erfragen.
Henry saà gerade an einer Kolumne, die er in zwei Stunden per E-Mail rausschicken musste, und er hatte höchstens die Hälfte des Textes fertig.
Und nicht nur, weil er keine Zeit hatte, sich zu rechtfertigen, sondern auch, weil er nicht zugeben wollte, sich nichts überlegt zu haben, sagte er leicht genervt: »Ja.«
»Sie sind also weiterhin an Bord?«
»Genau.«
»Und ein Thema haben Sie bereits?«
»Ja, klar«, sagte Henry, »das wird aber noch nicht verraten.«
»Dann schicke ich Ihnen die Verträge zu, Sie lesen sich alles in Ruhe durch und schicken sie mir unterschrieben zurück, wenn Sie einverstanden sind.«
»Okay«, sagte Henry, erleichtert, dass das Gespräch zu Ende war.
In den Verträgen, die er in der folgenden Woche erhielt, stand statt eines Buchtitels nur »N. N.«. Der Vorschuss sollte exakt dreimal so hoch sein wie der, den er für das erste Buch erhalten hatte. Henry erinnerte sich, dass der Verleger gesagt hatte, es bestehe Verhandlungsspielraum nach oben. Er begann, die Nummer des Verlages zu wählen, legte aber den Hörer auf, nachdem er bereits die Hälfte der Zahlenreihe eingetippt hatte. Stattdessen unterschrieb er die beiden Vertragsexemplare, steckte sie in einen Umschlag und brachte sie sofort zur Post. Danach war ihm, als habe er sich ein groÃes Problem vom Leib geschafft.
Von der ersten Hälfte des Vorschusses, die unmittelbar nach Vertragsunterzeichnung auf seinem Konto eingehen würde, konnte Henry bequem ein Jahr leben â wenn er sich ein wenig einschränkte, sogar anderthalb bis zwei. Hinzu kamen die Honorare der Lesungen, für die er immer noch gebucht wurde, wenngleich nicht so oft wie noch vor einem halben Jahr. Der eine oder andere Artikel lieà sich nebenbei sicherlich auch noch unterbringen. Diese Ãberlegungen im Hinterkopf, sprach Henry bei seinem Chef vor und bat um die Freistellung für ein Jahr, um sich auf die Arbeit an seinem zweiten Buch konzentrieren zu können.
Sein Chef reagierte weniger enttäuscht, als Henry insgeheim gehofft hatte. Im Gegenteil. Er sagte, er sei froh, dass Henry von sich aus zu ihm komme, um zu kündigen.
Henry
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