Kopfgeldjagd
würden da sein. Ich musste einfach hin.
Es war Freitagnachmittag und ich hatte soeben einen lahmen Research-Bericht über den deutschen Einzelhandel fertiggestellt. Ich musste nach Hause und mich umziehen – einen 1000-Dollar-Anzug und einen Lederaktenkoffer von Etienne Aigner in East New York spazieren zu führen war nicht ratsam. Selbst die Kinderbanden würden der Versuchung eines derart attraktiven Ziels nicht widerstehen können. Ich zog eine schwarze Hose, ein maßgeschneidertes italienisches Hemd und meine bequeme maßgeschneiderte schwarze Lederjacke an. Ich sah wie ein strammer hochrangiger Mafioso der kalabrischen ’Ndrangheta aus.
Dann fuhr ich mit der Metro Richtung Bushwick Avenue, wo mich Vince aufsammeln und zum Basketballcourt fahren sollte. Mitte der Achtzigerjahre war das heruntergekommene New Yorker Metrosystem für seine Unsicherheit berüchtigt. Der berühmte Bernard Goetz, der als Subway Vigilante bekannt wurde, weil er in Notwehr auf vier Afroamerikaner schoss, die ihn überfallen wollten, wusste, was er tat. Selbst ein überdimensionierter Rowdy wie ich musste aufpassen.
Das Schicksal schlug unbarmherzig zu. Ich wurde von drei kriminellen Mitgliedern der Bürgerrechtsvereinigung Nationale Organisation für die Förderung farbiger Menschen ausgeraubt. Ihr Anführer schien mit einer Körpergröße von rund 1,98 Meter eine wirklich böse, schwarze, wenn auch von zu viel Crack und Koks schwer lädierte Ausgabe meiner eigenen Person zu sein. Sein respektloses Auftreten und sein leicht distanziertes, bedrohliches Lächeln kamen mir entwaffnend vertraut vor. Selbst seine Nase war so gerade wie meine. Hatte ich Halluzinationen oder passierte das wirklich? War ich in die Hölle hinabgestiegen und hatte mich in einen ungebildeten, ausgemergelten, schwarzen, drogensüchtigen Gewalträuber verwandelt? War das Gottes Rache für mein ausschweifendes Leben? Mein afroamerikanischer Doppelgänger raubte mich aus – mich, den Grafen, sein weißes Spiegelbild.
Nachdem ich den Typen angesichts des gezückten Messers, mit dem sie mich bedrohten, ein Bündel 20-Dollar-Scheine ausgehändigt hatte, fielen dem Anführer meine schicken Stiefel aus Eidechsenleder und meine Lederjacke auf und er konfiszierte beides mit einem wirklich einschmeichelnden Millionen-Dollar-Lächeln. Als sich die vier anschließend zurückzogen, ließ er mich in breitestem schwarzen Straßenslang an seiner unendlichen Weisheit teilhaben: »Das iss hier nich dein Viertel, Cowboy. Nächsses Ma’ nehm ich deine Kohle und schlitz dich auf, einfach so zum Spaß.« Zwar war er ein schwachsinniger, heroinsüchtiger Schwätzer, aber er hatte ein cooles, gewinnendes Lächeln. Und so beschloss ich, ihn Smiley zu nennen.
Ich war ein Jahr zuvor mit meiner Freundin Lynne im Schlepptau während des Karnevals in Rio überfallen worden. Die jungen Räuber mussten für eine billige Seiko-Uhr einen hohen Preis bezahlen. Zwei Favela-Jungs trugen eine Gehirnerschütterung davon und einer hatte Atemprobleme als Folge eines perfekten Schlags auf seinen Kehlkopf. Meine Uhr bekam ich nicht zurück, weil der, der sie trug, entkommen konnte. Es war nicht sinnvoll, ihn zu verfolgen, es sei denn, ich hätte eine Kugel in den Kopf bekommen wollen.
Dieses Mal war meine Chance auf eine befriedigende nonverbale Revanche wesentlich schlechter. Selbst wenn ich einen dieser Metropiraten fertigmachen konnte, würde ich von den anderen drei garantiert erstochen. Ich war in Topform, zumindest verbal, redete meine Räuber mit Sirs und Gentlemen an und stellte einem von ihnen eine mögliche Zulassung an einer Eliteuniversität in Aussicht, falls wir in naher Zukunft im Harvard Club von New York beim Mittagessen näher miteinander bekannt würden. Diese Typen hielten mich für ernstlich geistesgestört, aber sie fügten mir keinerlei körperlichen Schaden zu. Sie lachten sich tot und wünschten Bleichgesicht »glückliche Tage«, bevor sie mit 500 Dollar Bargeld und 1.500 Dollar an Qualitätsbekleidung abschwirrten, die sie vermutlich für einen »Hunni« verhökern würden.
Ich war sauer, aber nicht richtig wütend, und dachte, Smiley mache einfach seinen Job. Ich beschloss zu versuchen, den Vorfall zu vergessen, was mir allerdings überhaupt nicht gelingen wollte. Ich habe einen bösartigen Charakterzug und der lässt sich manchmal nur schwer unterdrücken. Ich wollte Rache, ein Blutbad, eine kleine Kastration würde vielleicht auch genügen. Und so besorgte ich mir bei
Weitere Kostenlose Bücher