KORNAPFELGRUEN
vermutlich.
Camilla und Richard waren im Laufe der Zeit zu einer Art von Firmen-GmbH zusammengewachsen, wie Sabina manchmal spöttisch zu bemerken pflegte.
Eine Firma mit einem perfekten Management (Richard) und einer ebenso perfekten Kontenführung (Camilla).
Zu Hause hatte sich die anfänglich leidenschaftlich-liebevolle Beziehung darüber allmählich in eine gut funktionierende Wohn- und Lebensgemeinschaft umgewandelt.
Dies war natürlich nicht von Heute auf Morgen, sondern in winzigen, kaum wahrnehmbaren Schritten über die Jahre hinweg geschehen. Mittlerweile war es allerdings – leider - zum Status quo geworden, das mit der Mitwohn-Zentrale.
Richard ging in seiner Arbeit auf und betrachtete Camilla im Übrigen als festen, selbstverständlichen Bestandteil seines Lebens.
Sie hatte gelernt, mit diesem Arrangement zu leben und zu überleben, und sich begeistert in ihre Fotografie-Leidenschaft gestürzt. Darin fand sie Erfüllung und Freude.
Lästig waren manchmal bloß die Wochenenden und die gemeinsamen Urlaube mit Richard.
Sie stritten viel, sobald sie alleine miteinander waren und nichts anderes zu tun hatten. Also waren sie dazu übergegangen, nur noch mit gemeinsamen Freunden wegzufahren oder Urlaub in einem Ferienclub zu buchen.
Sie stellten dabei rasch fest, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine waren. Anderen Leuten ging es ähnlich. Eine Tatsache, die zumindest Richard zu beruhigen schien. Und so ging alles weiter seinen gewohnten Gang.
Camilla machte es sich mit einem Glas Wein auf der Couch gemütlich.
Das Wochenendmagazin der Süddeutschen Zeitung lag auf dem Marmortischchen. Sie schlug es auf und blätterte ein wenig darin herum.
Plötzlich stutzte sie.
Eine Seite bestand aus einem Textblock, der dergestalt formatiert war, dass dadurch ein riesiger Phallus dargestellt wurde.
Für Camilla sah er obendrein noch kunterbunt aus, weil kräftige Farben dominierten. Schwarz auf Weiß mochte die Sache sicher weniger spektakulär ausfallen, aber wohl ebenfalls die Blicke eines jeden Lesers anziehen.
Camilla begann neugierig zu schmökern.
Schließlich ließ sie das Magazin sinken und lachte aus vollem Herzen.
Es durfte einfach nicht wahr sein!
Es ging um nichts Geringeres als ORALSEX!
Camilla sprang auf und holte das Telefon auf die Couch herüber.
„Was ist los?“ – Sabina schien nicht gerade bester Laune zu sein, wahrscheinlich hatte ihr derzeitiger Lover heute Abend keine Zeit für sie.
Sabina bevorzugte deutlich jüngere Männer.
Da konnte es schon mal vorkommen, dass einer der Knaben am Wochenende lieber seine Freunde vom Sportverein traf als sie. So war das eben im Leben.
„Hast du heute schon in das neue SZ-Magazin rein geguckt? Du wirst es nicht glauben, aber die lassen sich in höchst amüsanter Weise über Oralsex aus! Dazu befragen sie angeblich führende Experten auf diesem Gebiet zu Risiken und Nebenwirkungen. Hör zu! Das Statistische Bundesamt meint – ‚Uns liegen keine Statistiken zum Sexualverhalten der Deutschen im Allgemeinen und zum Oralverkehr im Besonderen vor‘. Hast du da noch Töne? Außerdem kommen Kirchenleute zu Wort, eine Prostituierte, eine Dentalhygienikerin, die Redaktion eines Sexblattes, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.“
„Du kommst also gut voran mit deinen Recherchen, wie ich merke“, unterbrach sie Sabina. „Ich habe es doch gewusst! Im Übrigen habe ich heute Nachmittag einen Fachartikel über Sy eHe v he nästhesie ausgegraben. Du hattest doch heute Morgen behauptet, Richard hätte seine Farbe im Laufe der Zeit von Rot über Lila in Schwarz verändert. Also rein medizinisch gesehen ist das gar nicht möglich! Nur eine Änderung in der Schreibweise könnte ein Wort dergestalt umfärben. Das ist bei jedem so, der unter Synästhesie leidet. Da wirst du ja wohl keine Ausnahme darstellen, Camilla.“
„Ach, hör schon auf, du Lästerzwilling! Verdirb mir nicht den Abend. Ich will, ehrlich gesagt, gar nicht so genau wissen, was dahintersteckt. Es ist einfach eine Tatsache. Punkt.“
„Wie du meinst.“ Sabina seufzte vernehmlich.
„Dann ist dir eben nicht zu helfen. Und jetzt muss ich leider los, ich habe noch eine Verabredung.“
„Wie heißt er?“
„Es ist rein beruflich. Er ist Rennfahrer und hat nur heute Abend Zeit für ein Interview. Also opfere ich eben, bienenfleißig wie ich nun mal bin, meinen Samstagabend. Ich hoffe, der Knabe langweilt mich nicht zu Tode. Für Rennsport hatte ich noch nie viel
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