KORNAPFELGRUEN
„Wenn du sagst, du kommst um drei, dann kommst du auch um Punkt drei. Bei dir würde ich mir schon Sorgen machen wegen fünf Minuten Verspätung.“
Camilla schüttelte sich. „Jetzt mach aber mal halblang, so schlimm bin ich nun auch wieder nicht. Wenn man im gleichen Haus wohnt, ist es wirklich nicht allzu schwierig, pünktlichst zu erscheinen.“
„Für viele Leute ist es selbst dann nicht machbar, glaub mir das“, Ruth bügelte eifrig weiter an einem Teil herum, das so gar nicht nach einem Wäschestück aussah.
Camilla brauchte einen langen zweiten Blick, um sich zu vergewissern, dass ihre Augen sie tatsächlich nicht täuschten.
„Sag mal, du bügelst hier doch nicht etwa die Tageszeitung, oder etwa doch?“
„Aber sicher bügle ich hier die Tageszeitung“, rief Ruth fröhlich, „ohne Dampf versteht sich, damit sie sich nicht wellt.“
„Aha, sehr interessant. Wenn du mir jetzt auch noch den Sinn der Aktion erklären könntest, müsste ich nicht weiter mit einem Schafsgesicht hier herumstehen.“
Ein herzhaftes Lachen war die erste Antwort.
„Herumstehen brauchst du sowieso nicht. Setz dich hierhin auf diesen Stuhl da und sei ein braves Mädchen, ich habe gleich Zeit für dich. Dann gibt es auch einen Kaffee.“
Camilla stöhnte. „Bitte, bitte, Ruth! Spann mich doch nicht so auf die Folter! Warum, um Himmels willen, bügelst du eine Zeitung. Und für wen tust du das?“
„Für Fritzi-Schatz! Er ist das so gewöhnt, sagt er. Und dass die Engländer ihre Zeitungen gerne gebügelt lesen. Was übrigens den nackten Tatsachen entspricht! Felix hatte mir früher schon davon erzählt. In Saudiarabien, in den großen Hotels, wo viele reiche Engländer absteigen, gibt es die Zeitungen angeblich immer frisch gebügelt auf dem Frühstückstablett. Felix meinte, das sei richtig angenehm, weil man dadurch beim Lesen keine schwarzen Finger mehr bekäme. Fritzi behauptet dasselbe, also muss es wohl stimmen. Er hat mir extra ein Buch geschenkt, verfasst von einem Londoner Butler. In einem Kapitel beschreibt der haargenau, wie man es richtig macht. Mit mittlerer Temperatur, das ganze Ding zweimal an den richtigen Stellen umschlagen, und ja ohne Dampf bügeln. Das ist eine Wissenschaft für sich, kann ich dir flüstern. Auf der Butlerschule in London gibt es sogar Einzel- und Gruppenunterricht im Zeitungsbügeln. Da sagst du nichts mehr, was?“
„Ich bin vor allem baff darüber, was du für Fritzi alles so zu tun bereit bist, Ruth! Das haut mich wirklich um. Was hat der Mann bloß an sich, dass die Frauen ihn so mögen?“
Camilla hoffte insgeheim, mit diesem leisen Fingerzeig Ruth auch gleich ausreichend darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass Fritzi möglicherweise auch noch auf anderen Hochzeiten tanzte!
Ruth aber tänzelte nur übermütig mit der frisch gebügelten Zeitung durch die Küche.
„Sieht das Ding nicht gut aus? Los, sag schon. Fritzi wird sich freuen, wenn er später zum Abendessen kommt.“
Camilla seufzte resigniert. „Mann-o-Mann! Dich hat es aber erwischt. Volle Breitseite, was?“
„Das kannst du laut sagen. Und er macht mich richtig glücklich, mein Fritzi. Das ist ein ganz ein Lieber. Neulich hat er gemeint, wie schade es doch wäre, dass wir uns nicht schon vor dreißig Jahren begegnet sind. Wir hätten zusammen ein so viel glücklicheres Leben haben können.“
„Hätten haben können! Ich bitte dich, Ruth, so sollte man nicht denken. Alles, was passiert, hat doch einen Sinn, behaupte ich mal. Wer weiß, ob ihr euch überhaupt ineinander verliebt hättet, damals vor dreißig Jahren. Das kann doch wirklich keiner wissen. Außerdem hättest du dann deinen Raoul nicht, Ruth, vergiss das nicht. Ein anderer Mann bedeutet automatisch auch andere Kinder. Oder gar keine Kinder, das kann auch vorkommen! Und deinen Sohn liebst du doch abgöttisch, so wie er eben ist, oder etwa nicht?“
Ruth nickte. Sie sah jetzt doch wenigstens ein bisschen nachdenklich aus.
„Ja, da hast du wohl auch wieder recht. Der Junge wird übrigens beim nächsten Formel-1-Rennen mit dabei sein. Er trainiert bereits fleißig. Einen neuen Sponsor hat er auch schon.“
„Das sind ja tolle Neuigkeiten. Und was macht die Liebe bei ihm?“
„Scheint ganz gut zu laufen, die Sache mit seiner neuen Freundin.“
Ruth legte die frisch gebügelte Zeitung vorsichtig auf den Küchentisch.
„Zu Gesicht bekommen habe ich das Mädchen zwar immer noch nicht, aber Raoul ist ja jetzt an den Wochenenden auch immer
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