KORNAPFELGRUEN
Richards Stimme, dass ihm eine lange Arbeitsnacht im Büro bevorstünde. Ein wichtiger Auftrag müsse Montagmorgen ausgeliefert werden.
„Mach dir einen schönen Abend! Und warte nicht auf mich, wenn du müde bist, hörst du?“
„Sicher nicht, mein Kater. Wozu auch?“ murmelte Camilla träge.
Im Wohnzimmer schaltete sie zuerst den Fernseher ein und drehte dann aber sofort den Ton wieder ab. Sie legte eine Bob-Seeger-CD ein und kuschelte sich im Bademantel auf die Couch. Notizblock und Kugelschreiber lagen wie immer griffbereit auf dem niedrigen Marmortischchen neben dem Sofa.
Ein Nachrichtensprecher erschien auf dem Bildschirm und bewegte stumm die Lippen, wie ein Fisch. Es sah lächerlich aus, und Camilla musste kichern. Dann verschwand der Nachrichtenmann, und eine Folge von Werbespots begann. Camilla griff nach Notizblock und Stift.
Manchmal kamen ihr beim Betrachten solcher Werbeblöcke Ideen für die eigene Arbeit. Oft aus dem Impuls heraus – „Das könnte man besser machen...“
Ein italienischer Beau hielt gerade einer voll erblühten blonden Schönen eine Espressotasse unter das gepuderte Näschen.
Interessiert starrte Camilla den Schönling an.
Tatsächlich einen Tick zu makellos war er, der Knabe, um wirklich interessant zu sein ...
Also eindeutig kein Womanizer?
Hm, schwer zu sagen! Wie das wohl andere Frauen sahen …?
Camilla kritzelte nachdenklich auf dem Notizblock herum.
Als sie schließlich irgendwann bewusst auf das Blatt blickte, wurde ihr flau.
D A N I E L stand da geschrieben! In Großbuchstaben!
Ungläubig riss Camilla das Blatt vom Block ab.
Das durfte doch wohl nicht wahr sein?!
Sie stand auf und holte das Telefon herein. Rasch tippte sie Sabinas Nummer ein.
„Ja, hallo?“
„Selber hallo!“ sagte Camilla, „tu mir einen Gefallen, Zwilling, und schreib das Wort Daniel auf ein Blatt Papier. Und sag mir, was du siehst.“
Sabina stöhnte leise. „Camilla, muss das jetzt sein?“
„Es muss sein!“
Am anderen Ende blieb es ein Weilchen still, dann folgte ein Rascheln, schließlich tönte Sabinas Stimme aus dem Hörer: „Also, gut sieht das nicht aus, das muss ich dir sagen, Schwesterchen! So ein schmutziges Kackbraun, wenn du verstehst, was ich meine. Und auch noch mit schwarzen Sprenkeln drinnen.“
„Bei mir ist es Orangerot mit sahnigen weißen Tupfen.“ triumphierte Camilla.
Wieder ein Stöhnen am anderen Ende der Leitung. „Wirklich, Camilla, du nervst. Dir scheint es auch noch Spaß zu machen, unter Synästhesie zu leiden. Also, ich muss dir für meinen Teil sagen, ich könnte auch definitiv ohne den Scheiß ganz gut leben.“
„Du musst dir bloß angewöhnen, es nicht als Handicap, sondern als Bereicherung zu empfinden, Sabina. Und eine Krankheit ist es schon zweimal nicht“, sagte Camilla geduldig. „Ich sehe als spezielle Begabung an und finde es sehr bereichernd, im Gehirn eine Verknüpfung von zwei Sinnen zu haben. Die Kombination Buchstaben, Wort, Farben macht mein Alltagsleben bunt. Und wir hatten als Kinder eine Menge Spaß damit, als wir erst herausgefunden hatten, dass du dabei andere Farben siehst als ich. Weißt du noch? Wir konnten uns stundenlang gegenseitig damit auf den Arm nehmen.“
„Ja, sicher. Aber mittlerweile verdiene ich mein tägliches Brot mit Schreiben, und da kann so etwas schon ganz schön störend sein. Meine verdammten Texte sehen für mich aus wie Ostereier. Außerdem kann ich nie guten Gewissens behaupten, ich hätte etwas Schwarz auf Weiß auf dem Papier vor mir...“
Durch Camillas amüsiertes Lachen ließ Sabina sich nicht lange unterbrechen, schon redete sie wieder weiter: „Ich meine, du als Fotografin ... Ach übrigens, halt! Stopp, stopp! Daniel! Daniel Kleeberg, ich verstehe! Also daher weht der Wind! Bist du etwa auf seinen Charme bereits hereingesegelt? Orangerot mit sahnigen weißen Tupfen drinnen, hahaha! Ich wette, er hat dir zumindest ein feuchtes Höschen beschert, der Süße, gib es schon zu.“
Schlagartig verging Camilla das Lachen.
„Unsinn! Ich werde lediglich nicht ganz schlau aus dem Mann. Und ich habe das Gefühl, man, das heißt er und sein Kunde, also die wollen mich als so eine Art Versuchskaninchen ins Feld schicken.“
„Worum geht es denn konkret?“ hakte Sabina sofort nach.
„Ich soll den Prototyp eines Womanizers ausfindig machen und ihn aufs Foto bannen. Dabei bezweifle ich mittlerweile bereits, ob sich eine solche Eigenschaft, denn darum handelt es sich ja wohl,
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