Kornmond und Dattelwein
daß es Alna gut ginge und Seb nicht daran dachte, sie in die Stadt zurückzubringen, solange die Pest nicht vorüber war.
Inanna wußte, daß sie etwas furchtbar Falsches tat. Nein, sie tat das einzige, was ihr zu tun noch möglich war.
»Seid Ihr in Ordnung?« Lyra sah sie besorgt an. »Ihr wirkt wie ein Geist. Ich habe doch schon früher gesagt, daß Ihr Euch etwas mehr Ruhe gönnen solltet.«
»Mir geht es gut.« Inanna zwang sich zu einem Lächeln. Immerhin bestand ja immer noch die Möglichkeit, daß in diesen drei Tagen kein Fremder kam und damit jegliche Opferung hinfällig sein würde. Warum sollte sie Lyra in das schreckliche Geheimnis einweihen. Es ging ja doch nur sie und Rheti etwas an. Erst lange danach erkannte sie, daß Rheti bei ihren Plänen vom Schweigen und von der Scham der Königin ausgegangen war.
Inanna räusperte sich. »Ich dachte mir, wenn Fremde den Lants beiliegen, erfreut das sicher Lanla und bringt uns Glück.« Lyra lächelte und zeigte ihre fehlenden Vorderzähne. Ein ehrliches Lächeln, wie es nur von einer wirklichen Freundin kommen konnte. Einen Augenblick lang beneidete Inanna Lyra um ihre Unschuld. »Eine vortreffliche Idee«, sagte Lyra. »Und negative Folgen sind davon nicht zu erwarten, nicht wahr?«
»Nein.« Inanna sah in eine andere Richtung, mied Lyras Blick. Was mußte das für eine Frau sein, die mit solcher Leichtzüngigkeit und so bedenkenlos Lügen auftischte? Sie kam sich in ihrem eigenen Körper wie eine Fremde vor.
»Ich sage den Wachen sofort Bescheid.« Lyra marschierte mit der gesunden Entschiedenheit einer Frau aus dem Zimmer, die wußte, was zu tun war und wohin sie gehörte. Oder die zumindest in diesem Glauben war. Macht sie sich jemals über größere Zusammenhänge Gedanken? fragte sich Inanna. Und was würde sie tun, wenn sie an meiner Stelle wäre? Sie setzte sich hin und ließ sich eine heiße Kohlenpfanne bringen. Darauf braute sie sich einen Tee aus Käppchen und Hopfen. Das Gebräu schmeckte bitter, und sie trank es in zwei hastigen Zügen. Es brachte Schlaf ohne Träume. »Ich möchte nicht gestört werden.«
»Ja,
Muna.«
Inanna legte sich aufs Bett und schloß die Augen. Stunden verstrichen, in denen ihr Kopf leer war. Als sie endlich wieder erwachte, hörte sie Regentropfen.
Wasser überall. Es rann die Balkone hinunter, füllte die Töpfe der vertrockneten Pflanzen, durchnäßte die Vorhänge und trommelte auf den Dächern. Frische, kühle Luft, frei vom Gestank des Todes. Im Osten erloschen die letzten Feuer.
Inanna stand unter freiem Himmel und ließ sich vom Regen berauschen. Sie kam sich vor, als würde sie reingewaschen, so als wäre sie fast wieder so rein wie Lyra. Die Stadtmauern waren wieder weiß, und der Fluß schwoll mächtig an. Endlich war das Schlimmste vorüber. Die Pest hatte ihren Höhepunkt überschritten.
Inanna warf den Kopf in den Nacken, öffnete den Mund weit, trank den Regen und fühlte sich davon wiederbelebt. Sie tanzte herum und war albern wie ein kleines Kind. Sie dachte an Alna und lachte laut vor Freude, sie schon bald wiederzusehen. Und auch Seb. Sie vermißte ihn mehr, als sie das für möglich gehalten hätte. Bald würden sie wieder vereint sein.
Inanna ging wieder ins Haus zurück, streifte sich ein weiches blaues Gewand über und rief ihre Zofen, damit sie ihr das Haar trockneten und neu frisierten. Danach begab sie sich in die Große Halle und schickte eine der Gefährtinnen aus, Lyra zu suchen. Als sie erschien, kam sie mit verschmutzten Sandalen und winzigen Wassertropfen im lockigen Haar. Sie schüttelte das Haupt und sandte nach allen Seiten einen feinen Regen aus. Dann rannte sie zum Thron und umarmte Inanna lange.
»Es regnet!«
»Das habe ich auch schon bemerkt.« Inanna lachte und drückte Lyra. Und die Rüstung und der Federbusch störten sie nicht im geringsten dabei. »Behandelt man denn so eine Königin?«
»Für einen Augenblick hatte ich mich vergessen.« Lyra trat lächelnd einen Schritt zurück. »Ich habe die Armee im Schlamm gedrillt. O, Ihr solltet sie sehen. Dieser Eifer, diese Einsatzfreude. Die Pest hat uns einige genommen, aber soweit ich das überblicken kann, sind uns gut zweieinhalb
Magurs
geblieben.« Sie grinste Inanna an. »Nun, was kann ich für Euch tun?«
»Du kannst den Torwächtern sagen, daß von nun an keine Fremden mehr in den Tempel geführt werden müssen. Der Befehl ist ab sofort aufgehoben.«
»Fein.« Lyra fuhr sich mit den Fingern durch das nasse
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