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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Nomadenstämme halten sich dort auf?«
    »Nur drei, meine Königin«, antwortete die Kundschafterin. »Sie lagern in drei Gruppen in einer langgezogenen, schmalen Schlucht.« Sie nahm sich einen Stock und zeichnete damit eine grobe Skizze auf den mit Zedernnadeln übersäten Boden. »Hier, hier und hier«, erklärte sie und machte rasch drei kleine Kreise. »Jede Gruppe lagert abseits von den anderen.«
    »Stehen dort viele Zelte?«
    »Nicht allzu viele.«
    »Und wo stehen die Wachtposten?«
    »Hier und am Eingang zur Schlucht. Wir haben uns dem Lager von oben her genähert. Ein schmaler Pfad läuft über den Höhenzug. Wir sind nahe genug herangekommen, um riechen zu können, was es bei ihnen zum Abendbrot gab.«
    Inanna beugte sich über die Skizze und studierte sie. »Wo stehen in diesem Teil des Lagers Wachen, hier an der Felswand?«
    »Dort standen keine Wächter.« Die Kundschafterin war etwas verlegen. »Zumindest haben wir keine entdecken können.« Die beiden männlichen Aufklärer nickten zustimmend.
    »Kein einziger Wächter«, bemerkte einer von ihnen. »Das kam uns natürlich sonderbar vor.«
    »Die Hänge sind sehr steil«, sagte der andere. »Vielleicht glauben sie, ein Angriff von dort sei unmöglich.«
    Inanna sah auf die Skizze und wurde mißtrauisch. Was schloß eigentlich aus, daß Pulal nicht längst vom Anmarsch einer gegnerischen Armee erfahren hatte? Natürlich hatte er auch seine Kundschafter. Eigentlich hätte rings um sein Lager eine Postenkette stehen müssen. Als sie noch bei den Schwarzköpfigen gelebt hatte, hatten die Männer stets wochenlang auf Posten gestanden, wenn irgendwo ein Trupp der Wilden gesichtet worden war. Sie fuhr mit dem Finger den Verlauf der Schlucht nach. Es konnte nur eine Falle sein, aber was konnte man denn für eine Falle stellen, wenn man fünf zu eins unterlegen war? Sie erkannte keinen Sinn darin.
    Dann dachte sie an eine andere Möglichkeit: Vielleicht wollte Pulal gar keinen Krieg führen. Sicher hatten ihm seine Späher berichtet, wie überlegen die Armee der Stadt sei, und jetzt stand er kurz davor, das Lager abzubrechen und in die Berge zurückzukehren. Ja, nur so konnte es sein. Sie stellte sich vor, wie sie in die Schlucht kam und dort nichts weiter als ein paar erloschene Feuerstellen und plattgedrücktes Gras, dort, wo die Zelte gestanden hatten, vorfand. Die Schwarzköpfigen konnten sich noch in dieser Nacht aus dem Staub machen. Und sobald die drei Stämme erst einmal unterwegs waren, hatte sie keine Möglichkeit mehr, Pulal zum Kampf zu zwingen, selbst wenn sie bei der Verfolgung dicht aufholen würde. Verdammt, warum hatte sie nicht schon früher darüber nachgedacht? Warum war ihr nie in den Sinn gekommen, daß der Taktiker Pulal in gewissen Situationen auch eine Flucht ins Kalkül ziehen mochte? Die Zeit wurde reichlich knapp. Nicht ausgeschlossen, daß die Nomaden schon in diesem Augenblick ihre Zelte abbrachen.
    »Seb.« Ihr Freund erhob sich von seinem Mahl und eilte zu ihr. Sein Gesicht war vom Staub verschmiert, aber seine Augen strahlten, als er die drei Kundschafter sah.
    »Was ist denn?« Inanna zeigte auf die drei Späher. »Sie haben etwa einen halben Tagesmarsch von hier in einer Schlucht das Nomadenlager entdeckt. Nur drei Stämme sind dort, mit vierhundert, höchstens aber fünfhundert Kriegern.«
    »Gut«, sagte Seb, »dann sind wir ihnen ja fünf zu eins überlegen. Wir sollten sofort angreifen.«
    »Das geht nicht.«
    »Warum nicht?«
    Sie erklärte ihm, daß die Nomaden sofort ihr Lager abbrechen würden, sobald ihre Späher den Anmarsch feindlicher Truppen vermelden würden.
    »Also glaubst du, daß sie lieber vor uns die Flucht ergreifen?« »Ja.« Inanna wandte sich um, marschierte zu einer Zeder und kehrte dann wieder zurück. Sie war wütend auf sich, weil sie erst so spät auf die richtige Lösung gekommen war. »Die Magurs bewegen sich so lahm wie Wasserschnecken durch diese Berge. Wir würden Pulal wohl nie einholen. Du hast ja überhaupt keine Vorstellung davon, wie schnell diese Nomaden reisen können. Als ich noch klein war, hat meine Schwester mich immer getragen, damit ich nicht zu weit zurückbleiben und verlorengehen würde. Und das war nur die normale Reisegeschwindigkeit. Fast jeden Tag sind wir weitergezogen. Sobald Pulals Aufklärer unser Heranrücken melden, können die Schwarzköpfigen in kürzerer Zeit ihr Lager abbrechen, als es dauert, einen Topf Wasser zum Kochen zu bringen. Ich hätte geglaubt, Pulal

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