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Kornmond und Dattelwein

Titel: Kornmond und Dattelwein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Zelte auf der Grasfläche wirkten klein und unwirklich wie ein Kreis aus schwarzen Steinen. In der Mitte des Kreises stand eine Frau. Ihr rotes Halstuch hob sich wie ein Blutfleck vom Gewand aus schwarzer Wolle ab. Die Frau hielt an jeder Hand ein Kind und schrie. Das waren Zus Kinder, und sie war Zus Frau. Inannas Mund trocknete aus, und das Herz fing an, wie wild zu schlagen. In Gedanken sah sie wieder die Miene auf Zus Gesicht, als er Lilith an ihrem Hochzeitstag angesehen und ihr den Apfel gereicht hatte, den Hursag fallen gelassen hatte; den Apfel, den eigentlich Hursag ihr hätte reichen müssen. Nun wußte sie, was Zus Blick damals bedeutet hatte.
    Wie betäubt kletterte sie langsam die Schieferwand hinunter und schnitt sich dabei mehrfach die Finger. »Lilith!« Der Name hallte von den Felsen wider und kehrte matt zu ihr zurück. Im Lager stürmten die Menschen aus den Zelten. Da waren auch Pulal und Enshagag. Endlich zeigte sich die Sonne in ganzer Größe über den östlichen Hügeln. Sonnenlicht durchflutete das ganze Tal, verwandelte den Nebel in ein feines, schleierartiges Netz und veredelte die Wassertropfen auf dem Schiefer zu Kristallperlen. Im Lager rannte Pulal auf die schreiende Frau zu. Er trug etwas in der Hand. Die Sonne schien auch darauf und brachte die Kupferfläche zum Spiegeln. Pulal hatte seine Axt dabei.
    »Schande! Schande! Schande!« kreischte Zus Frau.
    »Lilith!« Inanna griff nach einer Wurzel, griff daneben, und schon öffnete sich vor ihr der leere Raum. Sie spürte, wie ihr die kalte Luft aus dem Tal ins Gesicht blies, während sie hinabfiel, und sie kam ihr vor wie der Hauch des Todes. Blindlings griff sie um sich und fand endlich Halt an einem kleinen Eichenbusch. Sie schwang ihren ganzen Körper dorthin, schwang noch einmal. Dreck im Mund, Staub in den Augen. Aber sie war in Sicherheit. Gut, sie war ein Stück abgestürzt, aber nicht bis hinab ins Tal. Sie sprang hinunter, fing sich hier an einem kleinen Baum ab und dort an einem vorspringenden Stein. Dann war nichts mehr da zum Festhalten. Hart kam sie am Boden auf und hätte sich dabei fast die Füße verstaucht. Sie lief sofort weiter und kämpfte sich durch das hohe Gras und die Dornsträucher. Es dauerte so lange, die Strecke zwischen der Schieferwand und dem Lager zu überqueren, schien eine Ewigkeit zu währen. Er
hat mich geküßt und bei mir gelegen.
    Lilith war Hursags Honig, war sein Wein. Sicher würde er ihr vergeben. Sie wollte dafür sorgen, daß er Lilith vergab. Und auch Zu. Zu war immerhin sein Sohn. Sie alle würden den Vorfall vergessen, würden so tun, als sei nichts geschehen. Sogar Pulal würde kein Aufhebens davon machen. Es war doch gar nicht wichtig, was diese beiden miteinander getrieben hatten.
    Zu. Kaum halb bekleidet stürmte er aus Hursags Zelt. Seine nackten Schultern glitzerten im Sonnenlicht. Er schien geradewegs auf Inanna zuzulaufen. Sie wollte ihn beschützen und streckte die Arme aus. Zu, komm her, komm hierher, zu mir. Sie erreichte den Lagerrand, war im ersten Zeltkreis, dann im zweiten. Zu hob den Kopf und sah sie an. Das Sonnenlicht bestrahlte sein Haar. Wunderschöner Zu. Goldener Zu. Da fuhr ihm ein Speer in den Rücken. Dunkles Blut quoll neben der Speerspitze heraus; Blut von der Farbe von Winterhonig. Zu öffnete den Mund, wollte ihr etwas zurufen. Dann zuckte sein Körper wie der einer Spinne zusammen. Er fiel nach vorn und landete mit dem Gesicht zuerst im nassen, hohen Gras.
    Inanna rannte weiter, an Zu vorbei, fürchtete sich davor anzuhalten und an Zus Frau vorbei, die in die entgegengesetzte Richtung lief und ihre beiden Töchter hinter sich herzog. Das Schreien der Frau verwandelte sich in die Totenklage, so als sei ihr jetzt erst bewußt geworden, daß sie soeben Witwe geworden war. Närrin, dachte Inanna, dumme Närrin!
    Und sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge vor Hursags Zelt. Und daraus kam jetzt Pulal und zog Lilith an den Haaren ins Freie. Dann kam Hursag, war nur spärlich bekleidet und wirkte ganz so, als sei er noch gar nicht richtig aufgewacht. Pulal zerrte Lilith über die kalte Asche der Feuerstelle, riß ihr ruckartig den Kopf zurück, zerfetzte das Oberteil ihres Gewands und entblößte ihren Hals. Ein gutturales Stöhnen erhob sich aus der Menge, und dann begannen die Frauen mit der Totenklage. Die S-förmige Narbe auf Pulals Wange leuchtete feuerrot, und er schien von einer sonderbaren, fast schon hysterischen Heiterkeit erfüllt zu sein. Inanna hatte

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