Kornmond und Dattelwein
Schlangenleib und hieb dem Tier den Kopf ab.
»Ein Gruß von Rheti«, bemerkte er grimmig. Blut spritzte auf den Boden, und der Leib der Kobra zuckte. Der Gestank in der Höhle kehrte in Inannas Erinnerung zurück. Sie wollte etwas sagen, mußte aber feststellen, daß ihr die Stimme versagte. Alna sah schläfrig zu ihrer Mutter hoch. Das Baby gähnte und steckte die Finger in das rosige Rund seines Mundes.
»Bist du in Ordnung?« Inanna nickte nur. Seb setzte sich neben sie. »Du und das Kind ...« Er hielt inne, zog sie zu sich heran und küßte sie. »Du Wahnsinniger! Dein Kampf mit der Kobra hätte dich leicht das Leben kosten können!«
Später redete sie sich ein, daß sie verwirrt und ängstlich gewesen war und gar nicht so recht mitbekommen hatte, was ihr eigentlich geschah. Aber sie wußte nur zu gut, daß sie sich damit selbst belog. Sie wollte menschliche Wärme spüren, wollte die Augen schließen und sich selbst verlieren, wollte Rheti und die Schlange vergessen, wollte vom Zimmer, vom Mond und von der ganzen Stadt nichts mehr wissen. Sie ergab sich Seb, ließ seine Leidenschaft über sie hinwegrauschen, ließ ihn neben sich in ihr Bett und ließ zu, daß er ihr das Nachtgewand auszog. Seine Finger vermengten sich mit ihren Haaren, seine Lippen küßten ihren Hals, ihre Brüste, ihre Hände und ihre Fußsohlen. Sie ließ sich von ihm mit zärtlichen Namen bedenken, aber sie lag nicht mit ihm zusammen. Sie ließ sich von Seb lieben, aber als sie in höchster Lust aufschrie, fühlte sie sich mit Enkimdu vereint.
Es war Enkimdu, der ihren Körper an den seinen zog, es waren Enkimdus Lenden, die gegen ihr Becken stießen, es waren Enkimdus Lippen, die auf ihre drückten. Und für eine kurze Zeit war sie wieder so glücklich wie damals im Tal, bevor Pulal sie fand und der Alptraum ihres Lebens begann. Und als sie später schlief, träumte sie nicht von Rheti und ihren Ränken, sondern von einer kleinen Schilfrohrhütte, einem Höhenzug von schneebedeckten Gipfeln und einem See, auf dem blaue Wasserlilien schwammen.
Als sie jedoch am nächsten Morgen aufwachte und Seb neben sich entdeckte, sagte sie sich, daß sie ihm etwas Unverzeihliches angetan hatte, und sie schämte sich und kam sich schlecht vor. Rasch zog sie sich ihr Gewand über, glitt aus dem Zimmer, wanderte ziellos durch den Palast und hatte sich bald im Labyrinth der Gänge und Korridore verloren. Nach einer Weile erreichte sie einen kleinen Innenhof, in dem die Sonne gerade damit begann, die Steine rosarot zu färben. Ein blauer Springbrunnen sandte feines Sprühwasser in die Luft. Irgend jemand hatte weiße Blumen in einem geborstenen Topf angepflanzt. Inanna setzte sich an den Rand des Brunnens und starrte lange Zeit ins Wasser. Wie dunkle Schatten schwammen die Fische darin, und das Wasser war so klar, daß sie die Sprünge auf den Fliesen am Grund erkennen konnte. Wenn
du dir selbst nicht vergeben kannst, wem kannst du dann vergeben?
Inanna drehte sich rasch um und suchte den, der das gesagt hatte, aber außer ihr war niemand auf dem Hof.
Sellaki, Sebs Mutter hatte von ihrem Sohn immer gesagt, er sei wie der Fluß: glatt und ruhig an der Oberfläche, aber darunter voller rascher und gefährlicher Wirbel. Als ihm der erste Bart wuchs – und darauf war er stolz wie ein Löwe auf seine Mähne –, hatte sie ihn zu sich in die Kaserne gerufen, wo sie die Soldaten drillte. Damals war die Armee noch groß und stark gewesen, mit vier
Magurs,
vielleicht sogar mehr. Und wenn Seb dann gekommen war, war soviel Staub in der Luft, daß er kaum über den Exerzierplatz blicken konnte. Endlich hatte er seine Mutter gefunden. Sie saß in voller Montur am Brunnen. Der Schild lehnte an der Mauer, und ihr langes braunes Haar war mit einem roten Stof fetzen zurückgebunden. Wie stark sie ihm in diesem Moment vorkam, so als könnte das Alter ihr nie etwas anhaben. Ihre Haut war so glatt wie eine Eierschale, und mit ihren Zähnen hatte sie Nüsse knacken können. Manchmal konnte sich Seb kaum noch vorstellen, daß die Sellaki, mit der er heute täglich am Abendbrottisch saß, dieselbe Frau war, die damals den Speer über zehn Manneslängen weit geworfen hatte, als sei er ein kleiner Kieselstein. »Was willst du mit deinem Leben anfangen, Sohn?« hatte sie ihn damals gefragt, dabei einen Krug Wasser aus dem Brunnen geschöpft und sich das Naß über den Kopf ausgegossen, um den Staub abzuwaschen. Dann hatte sie wie ein großer Hund ihren Kopf geschüttelt,
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